Donnerstag, 2. Mai 2024

Unser Mann in Havanna - und Guillaume in Bonn

Etwas voreilig hat "Arte" zum 75. Jahrestag der Gründung der Bundesrepublik (23.5.1949) am 2.5. eine Doku über Günter Guillaume gebracht, den DDR-"Spion im Kanzleramt" ("Willy Brandt und der Spion, der ihn stürzte - Die ganze Doku | ARTE) , wegen dessen "Enttarnung" Willy Brandt am 6.5.1974 zurückgetreten ist (was ein interessanterer Jahrestag gewesen wäre).

Die Beweislage scheint nach wie vor mager zu sein: nachdem der Brandt-Intimus Guillaume und seine Frau in Verdacht geraten waren, wurden sie lange vom "Verfassungsschutz" beschattet und abgehört, aber beiden konnten weder "Spionage"-Tätigkeit, noch kompromittierende Kontakte nachgewiesen werden - also wurde eine früh-morgendliche Razzia mit Haus-Durchsuchung befohlen, bei der das Ehepaar verhaftet, aber wiederum nichts belastendes gefunden wurde...

Wenn Guillaume nicht so blöd gewesen wäre, im Halbschlaf den einbrechenden Bullen zu erzählen, er sei "Offizier der Nationalen [DDR-]Volks-Armee und der StaSi" und erwarte, "als Offizier behandelt" zu werden, wäre mangels Beweisen vermutlich nicht viel passiert - so aber blieben er und seine Frau in Haft und wurden zu 13 bzw. 8 Jahren verurteilt (die "StaSi" holte ihren 17-jährigen Sohn und dessen Großmutter in die DDR, und später auch die Eltern im Rahmen eines "Agenten-Austauschs").

Im Prozeß wurde als einziges Indiz für "Spionage" angeführt, daß Guillaume während eines gemeinsamen Urlaubs von seiner und Brandts Familien in Norwegen einmal ein "geheimes NATO-Schreiben" an Brandt zu Gesicht bekam: die hohen Haftstrafen waren offenbar hauptsächlich für die "Unverfrorenheit", als "Ossi" in solche West-Regierungs-Nähe aufzusteigen, und nicht für tatsächliche "Spionage"-Erfolge: die hielten sich wahrscheinlich genauso in Grenzen, wie die von des britischen Geheimdienstes "Mann in Havanna" (der Staubsauger-Vertreter mit den erfundenen militärischen Informationen in Graham Greene´s genialem Roman von 1958, kurz vor Castro´s Revolution - vgl. den genialen Comic "Cuba ´42. Die Perle der Karibik" von O. De Angelis und A. Brandoli, 1991, dt. bei Carlsen 1994).

Das Ehepaar Guillaume war 1956 aus Ost-Berlin nach Frankfurt/M. übergesiedelt und hatte (angeblich mit "StaSi"-Finanzhilfe) einen Kaffee- und Zigarren-Laden eröffnet, und erst 10 Jahre später begann Günter Guillaumes "Aufstieg" in der "SPD" und 1972 zum "persönlichen Referenten" von Kanzler Brandt, den er (Guillaume) offensichtlich verehrte und mit ziemlicher Sicherheit nicht "stürzen" wollte, woran auch der DDR-Führung angesichts von Brandts "Entspannungs-Politik" nichts lag.

Aber das Einschleusen eines DDR-"Agenten" ins Kanzleramt galt natürlich, ungeachtet der realen oder irrealen "Gefahr", als "kriminell", sofern es nicht im "Kalten Krieg" umgekehrt von westlicher Seite versucht und praktiziert wurde - kurz: Brandt hatte sich nichts vorzuwerfen (außer dem davon unabhängigen "Radikalen-Erlaß", vulgo "Berufs-Verbote") und hätte wegen Guillaume nicht zurücktreten müssen...

Die Heroisierung des repatriierten Ehepaars Guillaume in der DDR als "anti-imperialistische Kämpfer" und "Kundschafter des Friedens" erinnert wieder an Greene´s "Mann in Havanna": lieber, als Nutzlosigkeit und Geld-Verschwendung zuzugeben, verteilen die Geheimdienste Orden und neue Pfründe im Austausch gegen mafiose omertà (Schweige-Pflicht).

"Spione" sind generell überbewertet (vgl. den genialen Comic "Die Sache mit [Richard] Sorge - Stalins Spion in Tokio" von Isabel Kreitz, 2008: Sorges Warnung vor dem bevorstehenden deutschen Überfall auf die Sowjetunion wurde von Stalin ignoriert...).

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