Montag, 27. März 2023

Moderne Mythen: der Siegeszug des "Rationalismus"

Im hämischen "Hohlspiegel" des "Spiegel"-Magazins stand vor paar Jahren mal der Faux-pas eines Provinz-Blattes: "Viele ungebildete US-Amerikaner glauben immer noch, daß sich die Erde um die Sonne dreht." - Eigentlich muß man zweimal nachdenken, um den Fehler zu bemerken, denn was sich um was dreht ist ohne eigene Anschauung oder Reflexion so ins "Trivial-Pursuit"-Wissen eingedrungen und zur "Normalität" geworden, daß einem die Umkehrung des kopernikanischen Weltbilds garnicht sofort auffällt - denn natürlich geht trotz Kopernikus für "bodenständige" Leute (die also "mit beiden Beinen auf der Erde stehen") nach wie vor "die Sonne auf" und dreht sich nicht "die Erde zur Sonne hin", und P. Sloterdijk hat schön bemerkt, daß die bahn-brechendste Erkenntnis der Neuzeit nicht war, daß sich die Erde um die Sonne bewegt, sondern daß sich das Kapital (bzw. der Risiko-Kredit) rund um die Erde bewegt.

Das gleiche gilt für die Kugel-Gestalt der Erde, die schon die alten Griechen annahmen und die Scholaren und auch Päpste das ganze Mittelalter hindurch postulierten, ohne daß es bis heute einen Einfluß auf das wahre und praktische Leben braver Bürger gehabt hätte - selbst nach der Welt-Umrundung von Magellan /Delcano (1519-22) dauerte es noch unzählige Generationen, bis die Kugel-Gestalt der Erde als unzweifelbare und schließlich unspektakuläre "Allgemein-Bildung" etabliert war, ohne daß ein normaler Mensch sie jemals physisch hätte erfahren können, außer durch die "Science-Fiction"-Lektüre von Jules Verne´s "In 80 Tagen um die Welt" (selbst der gelangweilte Jet-Set, der sich eine "Weltreise" leisten kann, fliegt nur über endlos ebene Ozeane und ebensolche, wenn auch teils gekräuselte, Kontinente... Einzig für Börsen-Raubritter ist die Erde eine unbegrenzte Kugel-Oberfläche für weltweit digitalisierte Spekulation in Echtzeit...) Aber genau wie Tycho Brahe (1546-1601) vollkommen logisch gegen Kopernikus ein terra-zentrisches "Sonnensystem" mit komplizierten Epi-Zyklen berechnete, kann die heutige "Flat Earth Society" (https://theflatearthsociety.org) alle Kugel-Phänomene mathematisch korrekt für eine Scheiben-Erde erklären, und auch eine umgestülpte Welt im Innern einer Kugel ist mathematisch nicht unmöglich (siehe z.B. Hohlwelttheorie: Das Äußerste nach Innen gewendet - Spektrum der Wissenschaft und dortige Links) - Und daß ein "down-under"-Teil der Menschheit (wie die Spikes auf dem "Corona"-Virus´) mit dem Kopf nach unten an der Erde hängt, mag sich eigentlich niemand wirklich vorstellen, obwohl schon Schopenhauer theoretisch schwindelfrei (aber ohne eigene Reise-Erfahrung) und ganz "aufgeklärt" bemerkte, daß auf der Erdkugel eben genauso "überall oben" sei, wie "im Leben immer Gegenwart"...

Das gleiche gilt auch für die arg beweis-arme Darwinsche "Evolutions-Theorie", die schon mehrfach durch wissenschaftliche Erkenntnisse relativiert oder sogar teils widerlegt wurde: nichtsdestotrotz ist sie längst im bildungs-bürgerlichen Kanon dermaßen verankert, daß ihre "Leugnung" (nicht nur durch religiöse Fundamentalisten, sondern auch durch Wissenschaftler) ein Sakrileg ist - im Gefolge ist auch die "Leugnung" der allmächtigen Genetik ein Sakrileg, obwohl der DNS-Fundamentalismus das biologische Leben keineswegs erklären kann, ganz abgesehen davon, daß schon allein seine relativ primitiven "rationalen" Theoreme (seit dem "zentralen Dogma" von F. Crick, 1958) jede menschliche Vorstellungskraft übersteigen...

Das gleiche gilt für die "Relativitäts-Theorie", die jenseits des normalen Menschen-Verstands die "Zeit" als vierte ("Raum-Zeit"-)Dimension und Masse und Energie als austauschbare Werte annimmt, ganz zu schweigen von der "Quanten-Theorie", die aufgrund mathematischer Berechnungen von einem 10- oder 11-dimensionalen Universum oder gleich von "Multiversen" ausgeht... Vielleicht werden auch diese Abstrusitäten jenseits aller sinnlicher Erfahrung wegen ihrer "mathematischen Evidenz" bald zum Kanon des "aufgeklärten Wissens", den ein konformer Bürger besser nicht "leugnen" sollte...

Es fragt sich bloß erstens, ob diese Exzesse von pythagoräischer Zahlen-Mystik, post-euklidischer Mathematik, existenzialistischem Materialismus und biochemischer Kompostiererei (vgl. "Soylent Green", Film von R. Fleischer, 1973) wirklich eine "Wahrheit" sind, oder nur "rationale" Mythen, und zweitens, ob solche abstrakte "Wahrheiten" den Menschen und die Menschheit weiterbringen: das Problem mit den US-"Kreationisten" ist ja nicht, daß sie "Darwin" und die Paläontologie leugnen, sondern daß sie ganz diesseitig und aktuell faschistoide, rassistische, militante und angeblich "auserwählte" Sekten bilden - die "Traumzeit" der australischen Aborigines und die mehr oder weniger "netten" Mythen anderer Indigener werden dagegen schließlich gleichzeitig folkloristisch romantisiert und kommerziell ausgebeutet. (Könnte man nicht auch die "White-Supremacy-Evangelisten" der USA als kostümierte Square-Dance-Clowns nach dem Muster der Indianer-Pow-Wows oder der Amish-"Erlebnis-Farms" vermarkten? Wem schadet´s schließlich, wenn ein paar Spaßvögel glauben, ein "Gott" habe ihren Urahnen vor 6000 Jahren aus einem Klumpen Lehm erschaffen? Sie gehören eigentlich zum "UNESCO-Kulturerbe", wie der Papst, die orthodoxen Juden, die Mullahs, der Dalai Lama, Karl der Große, Winnetou und die Paläontologie... Und wem oder was nützt es, an die Dinosaurier, den Archeopterix, die Kontinental-Drift, das "Higgs-Teilchen" und den Ur-Knall zu glauben, statt an die "unbefleckte Empfängnis", an "Elfen" oder an die "Heinzel-Männchen", an "Telepathie" oder an die "Große Schildkröte"?)

Das gleiche gilt erst recht für den Kapitalismus und die "freie Markt-Wirtschaft", die in der Sieger-Geschichts-Schreibung wie ein ehernes Natur-Gesetz dastehen und sich am (bisherigen und angeblichen) "Ende der Geschichte" natürlich weltweit durchgesetzt haben - man fragt nicht mehr: "Was wäre jetzt gut oder richtig?", sondern man googlt zuerst automatisch: "Was würde das kosten?" - diese Frage hat sich im kollektiven Bewußtsein inzwischen lächerlicher-weise als "existenzielle" etabliert...  Der angeblich "ent-mythisierende" Rationalismus schafft im Grund nur neue Mythen: den "Wissenschafts"-Glauben, den "Fortschritts"-Glauben, den "Markt"- und "Geld"-Glauben, den "Wachstums"-Glauben und den "Informations"-Glauben.

Die Menschen folgen den immer bodenloseren Erzählungen der sogenannten "Aufklärung" bedingungslos, erfahrungslos und eigentlich verständnislos (was ist eigentlich "W-LAN", ihr "Facebooker"?) im Herden-Trieb: den "Urknall" von vor 4 (?) Milliarden Jahren zu bezweifeln, macht einen genauso zum Mainstream-Häretiker und "Verschwörungs-Theoretiker", wie den "arabischen Neuknall" von "9/11" zu bezweifeln: es gibt nicht nur im Vatikan, in Rußland, China, Nordkorea, in der Ukraine und im Iran einen dogmatischen Kanon, dem die Untertanen zu folgen haben, wenn sie nicht den Genuß der Untertanen-Bonbons (auf schwäbisch:"Gutsle") verlieren wollen...

"Ha! Ha! said the clown,
Has the King lost his crown?
Is the night being tight on romance?
Ha! Ha! said the clown,
Is it bringing you down
That you´ve lost your chance?"
(Manfred Mann´s Earth Band,1968)

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