Donnerstag, 21. Oktober 2021

Verblödung durch "Spezialisierung"

Der junge Marx und der reiche Engels hatten die schöne Idee, daß der Mensch in der kommenden klassenlosen Gesellschaft die Freiheit haben werde, »heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden« (Die deutsche Ideologie von 1846, MEW 3 - im Kommunistischen Manifest von 1848 dagegen eine seltsam euphorische Begeisterung für die entfesselte kapitalistische Technologie...).

Solche Rückkehr zu archaisch-glücklichen Zuständen (vgl. J. Zerzan: "Future Primitive", 1994) war natürlich für die frühen Manchester-Kapitalisten und erst recht für deren fordistische und tayloristische Nachfolger, die die Menschen zu proletarischen oder administrativen Rädchen in ihrem Getriebe erziehen wollten und immer noch wollen, ein undenkbares Sakrileg.

Nichtsdestotrotz hätte die durch Massen-Verarmung im 19. Jh. zur "Auswanderung" in die Kolonien (oder Ex-Kolonien, wie die USA) gezwungenen "Siedler" eine solche Idylle erwartet, wenn diese Landstriche nicht längst durch neo-feudale Spekulanten verseucht gewesen wären (s. z.B. T.C. Boyle: "World´s End" über das ehemals holländisch kolonisierte New York, dt. 1989), die die potentiell freien Selbstversorger (wie heute ganze Länder) in permanenter Zins-Schuld-Sklaverei gefangen hielten, oft auch auf betrügerisch verhökerten aussichtslosen Parzellen (s. z.B. K. Gröper: "Im Winter brach der Regenbogen" über deutsche Auswanderer nach Texas, 1978), die schließlich zur endgültigen Proletarisierung der gescheiterten "Pioniere" führte (s. z.B. J. Steinbeck: "Früchte des Zorns" über die Ruinierung von Prärie-Farmern im mittleren Westen der USA, dt. 1940, "Pulitzer-Preis").

Jedenfalls hat das verselbständigte System des industriellen Finanz-Kapitalismus jede Form von Autonomie mit der Wurzel ausgerottet, mit der Folge, daß der heutige Mensch ohne das System und seine technischen und elektronischen Krücken nicht mehr überlebensfähig ist: der frühere Allrounder, das mehr oder weniger universale Genie (ob praktisch oder geistig), existiert nicht mehr - es gibt nur noch "Spezialisten", die vom gegenwärtigen System völlig abhängig sind und bei dessen ständigem Wandel schnell überflüssig und auf "soziale" (also staatliche) Hilfe angewiesen sind oder sein werden, wie man allerorten sieht.

Aber die immer überflüssigeren spezialisierten Rädchen des Getriebes klammern sich immer verzweifelter an ihren naiven System-Glauben: wenn die von der Politik der Börsen-Spekulation überlassenen Energie-Preise bedrohlich steigen und das Merkel darauf noch mehr "freien Markt" (und notfalls "Benzin-Gutscheine" wie im Krieg) als Lösung ankündigt, gibt es keinen Aufschrei, und daß der Steuerzahler sein "billiges" Schweine-Fleisch per EU-Agrar-Subventionen (nicht zugunsten der Landwirte, sondern der Handels-Monopole) doppelt bezahlt, scheint keinem aufzufallen: die da "oben" machen zwar, was sie wollen, aber können´s doch "nicht böse mit uns meinen"? - Träumt weiter, ihr kleinen "Specialists" und Sub-"Manager" und Pseudo-"Consultants", oder wie eure Jobs zwischen Tellerwäscher und Bürostuhl-Furzer auch immer inzwischen heißen mögen...

Wo es "sozial-staatliche" Hilfe (noch) gibt (also eigentlich nur in Mittel- und Nord-Europa), mag der aussortierte "Spezialist" noch Hoffnung haben, daß es sich um eine vorüber gehende "Krise" handelt, aber im Großen und Ganzen ist klar, daß dieses Wirtschafts-System ein Auslauf-Modell ist, falls man das in der US-Verfassung garantierte "Recht aller auf Streben nach Glück" zum Maßstab nimmt und darunter nicht bloß die Elektrifizierung des familiären Alltags versteht, wie sie der Billig-Schauspieler Ronald Reagan in den 50er-Jahren in einem US-typischen albernen Werbe-Spot besungen hat... (Die Chance, vom Werbe-Clown zum "Präsidenten" aufzusteigen ist allerdings geringer, als die auf den Lotto-Jackpot...)

Die Verblödung durch Spezialisierung zeigen nicht nur der verwirrte Virologe Drosten und der sophistische Regierungs-Schwätzer Seibert und unzählige andere "Experten" und Politiker (ganz abgesehen von selbstgerechten Milliardären), sondern eigentlich die gesamte Gesellschaft in deren Gefolge - die einzige Lösung wäre eine Abkehr vom Untertanen- und Karriere-Denken: eine Selbst-Ermächtigung zu eigenem Denken und Handeln, eine Rückkehr zu "gesundem Menschen-Verstand", der seit Jahrhunderten oder sogar Jahrtausenden von "Staaten" und "Systemen" unterdrückt wird - auch auf die zu vernachlässigende "Gefahr" hin, daß dann "exzellente" Leistungen von wissenschaftlichen Spezialisten ausbleiben, die ohnehin kein Mensch mehr versteht: man hat die Struktur tausender Bio-Moleküle entschlüsselt und kann sie manipulieren, ohne bisher das Leben erklären zu können, und man hat tausende Algorithmen entwickelt, die heimlich den Alltag bestimmen oder zum Erliegen bringen, falls sie sich aufhängen oder der Strom ausfällt...
Na toll ! Vermutlich leben die Ratten in "unserer" technologisch genialen Kanalisation und die Milben in unseren "Verbraucher-getesteten" Kopfkissen wirklicher, als wir, Herr Darwin: sie sind nämlich Allrounder, während die berühmten spezialisierten "Darwin-Finken" zum Aussterben verdammt sind, wenn ihre ökologische Nische aus geologischen, klimatischen oder andern Gründen verschwindet - "Anpassung" hat sich auf lange Sicht noch nie gelohnt, wie man schon an den Viren sieht: sie wechseln ihre Spike-Proteine, wie Regierungen ihre Währung und Frauen ihre Rock-Länge oder die Mafia ihre "Ware", aber nicht ihre universell erfolgreichen archaischen Methoden.

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