Meine Kleinstadt-Eltern haben das noch getan, und ich habe zumindest die Postbotin in meiner Großstadt-Straße noch gegrüßt, jedenfalls wenn ich ihr in unserm Treppenhaus begegnet bin...
In Tati´s "Jour de Fête" (1949) kennt der Dorf-Postbote jeden und wird in jedem Haus auf einen kleinen Cognac und einen Schwatz eingeladen - bis die Post "amerikanisiert" wird, also "rationalisiert": schneller und "effizienter", also billiger...
Ich habe "unsere" Postbotin seit 2 oder 3 Jahren nicht gesehen - statt dessen stecken jetzt (vermutlich billigere) wechselnde grußlose junge Männer die Briefe in die Kästen, und das Treppenhaus wimmelt von nah-östlichen Paket-Boten, die kaum Deutsch sprechen, und von Turban-tragenden Essens-Lieferanten mit gutturalen Sprach-Fetzen, während die "Uber"-Fahrer Ägypter oder Afghanen sind - eine gradezu babylonische Sprach-Verwirrung, aber man braucht ja auch nicht zu kommunizieren, da alles bereits per "App" bezahlt ist... (Selbst in "hyggelig" Kopenhagen sind die Taxi-Fahrer Araber. und die rot-bejackten Postboten gibt´s schon lange nicht mehr - nur die ollen "Pölser"-Buden sind noch dänisch besetzt und haben ihre lokalen Junk-Food-Stammkunden...)
In Tati´s "Mon Oncle" (1958) oder in Truffaut´s "Domicile Conjugal" (dt. "Tisch und Bett", 1970) kennt man noch seine (Pariser) Nachbarn und es gibt "Lokal-Kolorit" und ein lokales Straßen-, Geschäfts- und Hinterhof-Leben - meine ehemalige Stamm-Kneipe ist inzwischen eine Touristen-Falle, und in meinem Haus ziehen junge Leute ein und aus, deren Herkunft mir oft unklar bleibt, da sie höchstens "Hallo" sagen oder auch nicht... (in Truffaut´s Film traut man dem grußlosen Mieter jedes Verbrechen zu, bis man ihn im Fernsehen sieht und mit großem Hallo in die Haus-Gemeinschaft aufnimmt...)
Die alltägliche "Welt", die fatal "globalisierte", wird fremder und entfremdeter, und auch einsamer: mehr als die Hälfte aller Leute, die man sieht, starren auf ihr "Smart Phone", selbst wenn sie zu zweit oder dritt sind - wie lange wird es noch dauern, bis die Mehrheit eine optimal "KI"-personalisierte elektronische "Augmented Reality" und virtuelle Freunde und Partner der zunehmend zersplitterten und undurchschaubaren Realität (siehe Tati´s "Playtime", 1967) vorzieht? Was jetzt (wie vor 50 Jahren Pilze und "LSD") eine per "K.I." und Geschlechts-Relativität "alles-so-schön-bunt"*-Zukunft zu versprechen scheint, ist nichts anderes als das Massen-Leben in Lem´s "Futurologischem Kongreß" (1970), in "Soylent Green" (1973) oder in "Matrix" (1999): die Individuen werden als Energie-Lieferanten des Systems ausgebeutet und mit psychedelischen und multi-sexuellen Glücks-Illusionen ruhig gestellt...
Die weisen Philosophen der antiken Griechen haben schon vor Kant und Schopenhauer alles gewußt: es ist fraglich, ob der Mensch eine objektive "Realität" oder "Wahrheit" erkennen kann, oder ob alles nur subjektive "Wahrnehmung" und "Vorstellung" ist, und es ist fraglich, ob ein echtes "demokratisches" Ideal verwirklichbar ist, oder ob der "Pöbel" nur unbelehrbar und verfressen ist - aber sie waren klug genug, einzusehen, daß menschliches Zusammen-Leben nur aufgrund einer vertrauten (und Vertrauens-würdigen) Realität und allgemein akzeptierten "Wahrheit", und sei es ein "Mythos", möglich ist (und ihre ökologischen, pädophilen und militärischen Narrheiten sind quasi "Kindheits-Sünden der Menschheit", über die schließlich wir, als angeblich "aufgeklärt-erwachsene Menschheit", immer noch nicht hinaus gewachsen sind: mit "Fake News", "Deep Fake" und "Synthetic Reality" scheinen wir im Gegenteil hinter die alten Griechen zurück zu fallen ... und sogar "Mythen" haben wir noch: statt dem Olymp den "Urknall", statt den vier Elementen die hypothetischen "Quanten", statt dem Kosmos die "Entropie", usw.).
_______
* Nina Hagen: "TV-Glotzer" (1978)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen