Freitag, 3. Dezember 2021

Die Dialektik der "Aufklärung"

Adorno und Horkheimer haben in ihrem genialen Exil-Werk von 1944 nichtmal "Aufklärung" in Anführungszeichen gesetzt, obwohl das seit mindestens 250 Jahren angebracht gewesen wäre - Enzensbergers "Bewußtseins-Industrie" (1962) kommt der Sache ein bißchen näher....

Trotz ihrer brillianten sozial-politischen Analyse glaubten die beiden alten Genosssen offenbar an die materialistischen "Fortschritts"-Vorstellungen der Enzyklopädisten und Marxisten, die schon lange obsolet sind - Napoleon soll gesagt haben: "Geschichte ist die Lüge, auf die man sich geeinigt hat." Und falls es von ihm ist, hatte er recht: es gibt keine "Wahrheit", sondern nur einen gesellschafts-tauglichen Konsens. Das gilt genauso für die geschichts-, wie für die andern wissenschaftlichen "Wahrheiten": es gibt also keine "Aufklärung", sondern nur eine aktuell gültige Erklärung, z,B. die von der "Alternativlosigkeit" des herrschenden Wirtschafts-Modells oder von der "Unausweichlichkeit" des "wissenschaftlich" möglichen "Fortschritts", der mit der Verteilung Pocken-verseuchter Woll-Decken an kolonisierte Völker begonnen hat und mit der Entwicklung immer fieserer Waffen und totalerer Überwachung vorläufig endet...

Der gesellschafts-taugliche Konsens wird natürlich nicht von der Gesellschaft bestimmt, weil die nicht "aufgeklärt" (also nicht tauglich), sondern indoktriniert ist - er wird von den herrschenden wirtschaftlichen und finanziellen Kasten, den IT-Konzernen und deren "wissenschaftlichen" Abteilungen, Pseudo-"NGO"s und politischen Statthaltern bestimmt: ob globalistisch oder nationalistisch, ökonomistisch oder "ökologisch", sozial-politisch oder sozial-"hygienisch" - jedenfalls zugunsten des "shareholder values"...

Naomi Klein schrieb 2000 (dt. 2001) in ihrem berühmten "No Logo":
"Trotz der ständigen UN-Berichte über die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich und trotz des viel diskutierten Verschwindens der Mittelschicht im Westen ist der Angriff auf die Arbeitsplätze und das Einkommensniveau wahrscheinlich nicht die schlimmste Offensive der Großindustrie, der sich die Weltbevölkerung ausgesetzt sieht, denn diese Dinge sind, wenigstens theoretisch, wieder rückgängig zu machen. Langfristig viel schlimmer sind die Verbrechen, die die Konzerne an der Umwelt, der Nahrungsmittelversorgung und der einheimischen Bevölkerung und deren Kultur begehen."
Klein meint damit nicht nur die während der "Finanz-Krise" 2009 enteigneten, leerstehenden und verrammelten Immobilien in Detroit und anderswo, in deren Eingangs-Nischen ex-hausbesitzende Obdachlose hausen, sondern vor allem die von Konzernen vereinnahmten Kommunikationsmittel, öffentlichen Räume und "gesponsorten" Bereiche von Bildung, Forschung, Kultur und Sport, sowie den propagierten "Konsens" vom Primat des Profitstrebens bei der Ausbeutung menschlicher und natürlicher Ressourcen, sowie beim Waffen-Handel (wie Macrons "Arbeitsplatz"-Gelaber zum jüngsten Rekord-Rüstungs-Deal zwischen Frankreich und den im Jemen Krieg treibenden Emiraten grade wieder zeigt...).

Die von "Guiness-Buch" und "Media-Markt" ("Geiz ist geil") offenbar ausreichend "Aufgeklärten" staunen bewundernd über astronomische Summen, von denen kein Brosamen für sie abfällt, und sind mild gerührt, wenn die profitierenden beinharten Kapitalisten-Milliardäre, wie Gates, Soros usw., ein paar Millionen aus der Portokasse ihrer steuerfreien "Stiftungen" für ein paar System-stabilisierende Kompost-Toiletten oder Studenten-Zeitungen "spenden"... In "Schock-Strategie" (2007) zeigt Klein deprimierend klar, wie Propaganda und ökonomische Diktate psychologisch und materiell auf Individuen, Nationen und den ganzen Globus wirken...

Die antiken griechischen und asiatischen Philosophen, die alten Germanen und Indianer, die mittelalterlichen Scholastiker Europas und des Nahen Ostens und die Humanisten der Renaissance waren aufgeklärter, als die heutige "Informations-Gesellschaft"... Daran wird auch die angestrebte digital-nanotechnische Synapse zwischen menschlichem Hirn und Computer-Cloud nichts ändern: der quasi telepathische Zugriff auf "Google" und "Wikipedia" ist nur ein quantitativer Zuwachs, und kein qualitativer - wahrscheinlich durch die globale Vereinheitlichung der "Information" sogar ein qualitativer Rückschritt: sicher jedenfalls eine Verarmung von Sprache und Denken, wie man schon heute sehen kann.

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