Die Retrospektive von Ernst Wilhelm Nay (1902-68) in der Hamburger Kunsthalle ist in der Tat, wie angekündigt, "farbenfroh": die meisten Bilder erinnern an naive karibische Dekorations-Malerei auf Fahrzeugen oder Gebäuden, manche an verfremdete Karikaturen von kubistischen Vorbildern, und manche sind mehr oder weniger hübsche Klecks-Happenings.
Nach gewissermaßen "expressionistischen" Anfängen wurde Nay immer abstrakter und schnell bekannt, aber natürlich fiel er dann unter das Nazi-Verdikt "entartet"... Nach dem Krieg wurde er mit anderen Malern der "klassischen Moderne" laut Ausstellungs-Kuratorin quasi "gedrängt", (West-)Deutschland nach der Nazi-Unmoderne wieder an die internationale "moderne" Entwicklung "anzuschließen", und wurde einer der "wichtigsten Nachkriegs-Künstler Deutschlands" - diese Geschichte kennt man ja: alles von den Nazis Verfemte wurde sofort nach der Befreiung zu "wahrer Kunst" erklärt und die Kunst- und Lifestyle-Magazine der 50er-Jahre zeigten den sich die Augen reibenden (West-)Deutschen die bisher für "entartet" gehaltenen seltsamsten Abstraktionen als Aushänge-Schilder echter "Kultiviertheit", obwohl der gemeine bürgerliche Kunst-Konsument sie insgeheim immer noch verständnislos für "entartet" hielt und nur geheuchelt in kollektiver Bewunderung erstarrte...
Niemand weiß, was Nay dazu getrieben hat, seine "farbenfrohen" Dekorationen herzustellen oder was er der Welt damit mitteilen wollte - jedenfalls scheint es (wie bei vielen anderen Malern) ausgereicht zu haben, daß die Nazi-Kultur-Bonzen ihn nicht mochten, um ihn als "AntiFa-Künstler" zu etablieren, den zwar keiner versteht, aber sich zwecks Entnazifizierungs-Nachweis ins Wohnzimmer hängt, was jeden Zweifel im Keim erstickt...
Auch die nicht-leninistisch-maoistische Linke fühlte sich angesichts des biederen "sozialistischen Realismus" aus dem Osten "gedrängt", den "modernen Kunst"-Begriff als non-plus-ultra zu betrachten, weil die Nazis "normales" Kunst-Handwerk nunmal diskreditiert hatten (und die ehemalige linke Palästinenser-Solidarität ist dem entsprechend längst einem Verstehen der israelischen Besatzungs- und Rassen-Gesetze gewichen, da man andernfalls ein nicht entnazifizierter oder neonazistischer "Holocaust-Leugner" und "Antisemit" wäre: wer, wenn nicht die Israelis, oder jedenfalls deren rechts-nationalistische Regierung, als Nachkommen der von den Nazis Verfemten und Ermordeten, hätte heutzutage schließlich das Recht, Rassen-Gesetze zu erlassen, und welcher vor allem Deutsche hätte das Recht, etwas dagegen einzuwenden?).
Kenner meinen in Nays eher abstrakten Gesamt-Werk durchgehend eine gelegentliche Andeutung des "Schmetterlings"-Motivs zu erkennen, das ja "interessanter-weise" auf das Thema der Metamorphose hinweisen könnte - der Metamorphose von was zu was und zu welchem Ziel bleibt natürlich genauso rätselhaft, wie der größte Teil der "modernen Kunst" - im Gegensatz zu den Kalendern mit real-sozialistisch aquarellierten Abbildungen, die mir Parteilosem früher Radio Peking jedes Jahr kostenlos zusandte: Illustrationen der Metamorphose von feudalen zu proletarischen Staaten... Hatte Nay umgekehrt vielleicht soviel Ironie, die nahtlose Metamorphose von Nazis zu Entnazifizierten zu illustrieren?