(Antwort auf "Le Monde Diplomatique (dt. Ausg)", Nov. 2012, S. 3)
Die
simpel malthusianische Argumentation gegen ein Grundeinkommen ist
sinnlos, weil die heutige Welt genausowenig nach dem Subsistenzprinzip
funktioniert, wie schon zu Zeiten des fundamentalistischen Erbsenzählers
Malthus: weder realwirtschaftlich, noch finanzwirtschaftlich gibt es
noch einen Zusammenhang zwischen Produktion, "Verdienst" und Konsum.
Unter diesen Bedingungen ist es sinnlos zu fordern, wer ein Brötchen
essen wolle, müsse erst eins backen oder wenigstens das Mehl
heranschaffen oder die Teigschüssel töpfern - natürlich handelt es sich
um ein Verteilungsproblem: von der Weltnahrungsproduktion könnte man
angeblich derzeit bis zu 12 Mrd. Menschen ernähren, aber von den
existierenden 7 Mrd. hungern über eine Milliarde; ähnliches gilt für die
immer produktivere und überproduzierende Konsumgüterherstellung und für
Wohnraum: in den U.S.A. und anderswo verrotten hunderttausende Häuser,
deren Besitzer man mangels Rendite vor die Tür gesetzt hat - die
Schaffung von Werten berechtigt nach dem Umweg über die kapitalistische
"Verwertung" offenbar nicht mehr zu deren Nutzung.
Die "Wenigen, die zum Ärger von vielen Mißbrauchsmöglichkeiten
ausnutzen" und deren "Freiheit, nicht am Erwerbsleben teilzunehmen,
(...) zum Zwang für andere führt", sind nicht notorisch
Arbeitsunwillige, die sich mit dem "Existenzminimum" zufriedengeben,
sondern die transnationale neofeudale Kaste, deren immer maßloser
wachsende Profite sowohl der Realwirtschaft, als auch den
Staatshaushalten entzogen werden - seien es Bank- und Konzernmanager,
Vermögensbesitzer und -erben, Spekulanten und "Share-Holder" oder
"Berater", Sportler und "Stars", die GARNICHTS produzieren oder
zumindest nicht im Entferntesten den Gegenwert dessen, was sie
"verdienen", oder besser gesagt nicht verdient haben - ein gutes
Beispiel ist die Provisions-Abzocke der "Tony-Blair-Inc." einige Seiten
später...
Kritik an der Tatsache, daß (von "Bananenrepubliken" ganz zu schweigen)
in den Vorzeige-"Demokratien" Deutschland 10% und in den U.S.A. sogar
nur 1% der Bevölkerung rund die Hälfte des Volkseinkommens und Vermögens
auf sich konzentrieren, als "Sozialneid" zu veralbern, beweist nur, daß
die Parolen der französichen und der amerikanischen Revolution nicht
ernstgemeinter als die stalinistischen waren und sind, d.h.: natürlich
hat der bürgerliche (und der postsozialistische) Kapitalismus die
"Demokratie" faktisch längst abgeschrieben, und zwar nicht nur in der
"3. Welt" - falls man dem System noch rudimentäre
aufgeklärt-humanistische Absichten unterstellt, trägt eben nicht das
faule Prekariat, sondern vor allem die neofeudale Kaste eindeutig "NICHT
zum Erhalt des Systems, (sondern) zu seinem Untergang" bei.
Ein staatlich garantiertes Grundeinkommen müßte innerhalb des
bestehenden Systems natürlich durch steuerliche Abschöpfung der privaten
Vermögens-, Transaktions-, Spekulations-, "Beratungs"-, "Bonus"- und
Provisionsprofite dieser Kaste finanziert werden: der Staat, oder besser
die Gesellschaft, müßte also nicht nur ein Mindesteinkommen, das Arbeit
"lohnend" macht, sonder auch ein Höchsteinkommen und -vermögen
festlegen - ähnlichwie im einst beneideten "Schwedischen Modell". Die
puritanische Ethik von "Vollzeitarbeit" im derzeitigen Ausmaß läßt nun
mal keine "Vollbeschäftigung" und damit garkeine andere Lösung zu, es
sei denn, man nimmt wie in einigen "Bananenrepubliken" (Rußland,
Saudiarabien, Mexiko usw.) die vollständige Gesellschaftsspaltung und
letztlich Faschismus in Kauf.
Zuendegedacht ist das eine Übergangslösung, ein Notbehelf, der das
unausweichliche Versagen und Ende der "liberalisierten" Marktwirtschaft
hinausschiebt. Ein garantiertes Grundeinkommen gegen deren grassierenden
Niedriglohnsektor und das neoliberale Tagelöhnerwesen aufzurechnen, muß
natürlich scheitern. Aber angesichts der heutigen Produktivität im
primären und im sekundären Sektor, sowie der Überflüssigkeit von Massen
von "Arbeitsplätzen" in Kontroll-, Verwaltungs-, Finanz-,
"Sicherheits"-, Militär- und Lobbyisten-Apparaten, könnte man bei
Vollbeschäftigung die Arbeitszeit mindestens halbieren, und wenn dazu
die heutigen Bedingungen von Erwerbsarbeit, nämlich Ausbeutung,
Prekarisierung, Kontrolle, Entfremdung und Erniedrigung, wegfallen,
werden 2 oder auch 5% körperlich oder psychisch Arbeitsunfähige oder
-unwillige nicht dazu führen, daß die Leute massenweise nur noch
bedröhnt im Park liegen wollen, wie es die Phantasie der Puritaner
ständig an die Wand malt.
Eher wird man die Leute zwingen müssen, so wenig zu arbeiten, selbst bei
"vollem Lohnausgleich", d.h. eigentlich: bei vollem Anspruch auf einen
gerechten Anteil am Produzierten - denn produziert wird gemessen am
Bedarf genausoviel wie vorher, bloß nicht mehr zu einem guten Teil für
die Rendite von Produktionsmittelbesitzern, privatisierten ehemals
öffentlichen Dienstleistern und Versorgern und des parasitären
Finanzsektors, oder als Spekulations-Masse für die "freien Märkte":
Getreide wird gegessen und nicht wegen irgendwelcher Termingeschäfte
hin- und hergeschoben... keine kasernierten Kulis produzieren immer
billiger Halden von konkurrierenden Turnschuhen mehr - und essen tun sie
doch...
Kurz: wir brauchen nicht "mehr Arbeitsplätze" oder
"Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen" und keinen materiellen, moralischen und
psychischen Druck, ständig und immer mehr und immer unterwürfiger zu
arbeiten, sondern eine gerechte Verteilung von Arbeit und "Wohlstand" -
bis die kapitalistische Wirtschaft umstrukturiert ist, ist das
Grundeinkommen ein erster Schritt.
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