Freitag, 16. November 2012

Warum das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens doch aufgeht

(Antwort auf "Le Monde Diplomatique (dt. Ausg)", Nov. 2012, S. 3)

Die simpel malthusianische Argumentation gegen ein Grundeinkommen ist sinnlos, weil die heutige Welt genausowenig nach dem Subsistenzprinzip funktioniert, wie schon zu Zeiten des fundamentalistischen Erbsenzählers Malthus: weder realwirtschaftlich, noch finanzwirtschaftlich gibt es noch einen Zusammenhang zwischen Produktion, "Verdienst" und Konsum.
Unter diesen Bedingungen ist es sinnlos zu fordern, wer ein Brötchen essen wolle, müsse erst eins backen oder wenigstens das Mehl heranschaffen oder die Teigschüssel töpfern - natürlich handelt es sich um ein Verteilungsproblem: von der Weltnahrungsproduktion könnte man angeblich derzeit bis zu 12 Mrd. Menschen ernähren, aber von den existierenden 7 Mrd. hungern über eine Milliarde; ähnliches gilt für die immer produktivere und überproduzierende Konsumgüterherstellung und für Wohnraum: in den U.S.A. und anderswo verrotten hunderttausende Häuser, deren Besitzer man mangels Rendite vor die Tür gesetzt hat - die Schaffung von Werten berechtigt nach dem Umweg über die kapitalistische "Verwertung" offenbar nicht mehr zu deren Nutzung.
Die "Wenigen, die zum Ärger von vielen Mißbrauchsmöglichkeiten ausnutzen" und deren "Freiheit, nicht am Erwerbsleben teilzunehmen, (...) zum Zwang für andere führt", sind nicht notorisch Arbeitsunwillige, die sich mit dem "Existenzminimum" zufriedengeben, sondern die transnationale neofeudale Kaste,  deren immer maßloser wachsende Profite sowohl der Realwirtschaft, als auch den Staatshaushalten entzogen werden - seien es Bank- und Konzernmanager, Vermögensbesitzer und -erben, Spekulanten und "Share-Holder" oder "Berater", Sportler und "Stars", die GARNICHTS produzieren oder zumindest nicht im Entferntesten den Gegenwert dessen, was sie "verdienen", oder besser gesagt nicht verdient haben - ein gutes Beispiel ist die Provisions-Abzocke der "Tony-Blair-Inc." einige Seiten später...
Kritik an der Tatsache, daß (von "Bananenrepubliken" ganz zu schweigen) in den Vorzeige-"Demokratien" Deutschland 10% und in den U.S.A. sogar nur 1% der Bevölkerung rund die Hälfte des Volkseinkommens und Vermögens auf sich konzentrieren, als "Sozialneid" zu veralbern, beweist nur, daß die Parolen der französichen und der amerikanischen Revolution nicht ernstgemeinter als die stalinistischen waren und sind, d.h.: natürlich hat der bürgerliche (und der postsozialistische) Kapitalismus die "Demokratie" faktisch längst abgeschrieben, und zwar nicht nur in der "3. Welt" - falls man dem System noch rudimentäre aufgeklärt-humanistische Absichten unterstellt, trägt eben nicht das faule Prekariat, sondern vor allem die neofeudale Kaste eindeutig "NICHT zum Erhalt des Systems, (sondern) zu seinem Untergang" bei.
Ein staatlich garantiertes Grundeinkommen müßte innerhalb des bestehenden Systems natürlich durch steuerliche Abschöpfung der privaten Vermögens-, Transaktions-, Spekulations-, "Beratungs"-, "Bonus"- und Provisionsprofite dieser Kaste finanziert werden: der Staat, oder besser die Gesellschaft, müßte also nicht nur ein Mindesteinkommen, das Arbeit "lohnend" macht, sonder auch ein Höchsteinkommen und -vermögen festlegen - ähnlichwie im einst beneideten "Schwedischen Modell". Die puritanische Ethik von "Vollzeitarbeit" im derzeitigen Ausmaß läßt nun mal keine "Vollbeschäftigung" und damit garkeine andere Lösung zu, es sei denn, man nimmt wie in einigen "Bananenrepubliken" (Rußland, Saudiarabien, Mexiko usw.) die vollständige Gesellschaftsspaltung und letztlich Faschismus in Kauf.
Zuendegedacht ist das eine Übergangslösung, ein Notbehelf, der das unausweichliche Versagen und Ende der "liberalisierten" Marktwirtschaft hinausschiebt. Ein garantiertes Grundeinkommen gegen deren grassierenden Niedriglohnsektor und das neoliberale Tagelöhnerwesen aufzurechnen, muß natürlich scheitern. Aber angesichts der heutigen Produktivität im primären und im sekundären Sektor, sowie der Überflüssigkeit von Massen von "Arbeitsplätzen" in Kontroll-, Verwaltungs-, Finanz-, "Sicherheits"-, Militär- und Lobbyisten-Apparaten, könnte man bei Vollbeschäftigung die Arbeitszeit mindestens halbieren, und wenn dazu die heutigen Bedingungen von Erwerbsarbeit, nämlich Ausbeutung, Prekarisierung, Kontrolle, Entfremdung und Erniedrigung, wegfallen, werden 2 oder auch 5% körperlich oder psychisch Arbeitsunfähige oder -unwillige nicht dazu führen, daß die Leute massenweise nur noch bedröhnt im Park liegen wollen, wie es die Phantasie der Puritaner ständig an die Wand malt.
Eher wird man die Leute zwingen müssen, so wenig zu arbeiten, selbst bei "vollem Lohnausgleich", d.h. eigentlich: bei vollem Anspruch auf einen gerechten Anteil am Produzierten - denn produziert wird gemessen am Bedarf genausoviel wie vorher, bloß nicht mehr zu einem guten Teil für die Rendite von Produktionsmittelbesitzern, privatisierten ehemals öffentlichen Dienstleistern und Versorgern und des parasitären Finanzsektors, oder als Spekulations-Masse für die "freien Märkte": Getreide wird gegessen und nicht wegen irgendwelcher Termingeschäfte hin- und hergeschoben... keine kasernierten Kulis produzieren immer billiger Halden von konkurrierenden Turnschuhen mehr - und essen tun sie doch...
Kurz: wir brauchen nicht  "mehr Arbeitsplätze" oder "Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen" und keinen materiellen, moralischen und psychischen Druck, ständig und immer mehr und immer unterwürfiger zu arbeiten, sondern eine gerechte Verteilung von Arbeit und "Wohlstand" - bis die kapitalistische Wirtschaft umstrukturiert ist, ist das Grundeinkommen ein erster Schritt.

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