Freitag, 16. November 2012

Was lernt uns die Geschichte der Häuserkämpfe?

(abgedruckt in: amantine (Hg.): "Die Häuser den, die drin wohnen!" Kleine Geschichte der Häuserkämpfe in Deutschland, Unrast-Verlag, Münster 2012, 7,80 €)

Peter Stebel: Teile und herrsche!

Bis Ende 1980 waren in West-Berlin nach und nach an die 20 Häuser, zumeist in Kreuzberg, teils oder ganz besetzt worden. Angesichts von Abriß-„Sanierung“ und spekulativem Leerstand wurde das bis in die bürgerliche Presse hinein sympathieweckende Wort „Instand(be)setzung“ erfunden.
Schien sich daraufhin fast die Duldung von konservierenden Besetzungen in „abgeschriebenen“ Quartieren nach dem bereits bestehenden Muster von Amsterdam oder London abzuzeichnen, so änderte sich die Lage mit der massiven polizeilichen Räumung des soeben besetzten Hauses Fraenkelufer 48 am 12.12.1980 und dem brutalen Vorgehen der Bullen gegen die folgenden Proteste: die staatliche Repression politisierte und mobilisierte innerhalb von wenigen Wochen dermaßen viele Leute, daß in den nächsten Monaten über 200 Häuser besetzt wurden, zunächst vor allem in Kreuzberg, aber auch in Schöneberg, in Neukölln, in Charlottenburg, im Wedding, in Moabit, in Spandau, in Zehlendorf und in anderen südlichen Bezirken. Damit, und aufgrund der vom Vogel (SPD)-Übergangssenat nach dem Garski-Skandal im Januar 1981 ausgerufenen „Berliner Linie der Vernunft“ (keine Räumungen ohne „triftigen Grund“), hatte die Berliner Hausbesetzer-Bewegung eine beachtliche räumliche Struktur erobert und autonom organisiert:

Manche Gruppen (...) versuchten, besetzte Gebäude nicht nur als „Möglichkeiten alternativen Lebens und Wohnens“, sondern auch als „politische Basis im Kampf gegen diesen Staat“ zu entwickeln. Nahezu alle Gruppen sahen sich als Teil einer über die Grenzen der Bundesrepublik hinweg (...) reichenden Protestbewegung“,

wie der Verfassungsschutzbericht 1980/81 schon ganz richtig dargestellt hatte.
Aber von Anfang an gab es den Konflikt zwischen Verhandlungswilligen und NichtverhandlerInnen: die einen wollten in erster Linie den Stadtteil und seine Strukturen, sowie ihren eroberten Wohn- und vor allem Arbeitsraum sichern (verhandlungswillig waren vor allem Häuser mit konkreten Projekten, ähnlich der bereits legalisierten Ufa-Fabrik), die anderen stellten die Grundsatzfrage nach Eigentum an Wohnraum in Verbindung mit anderen politischen Themen: Umwelt-, Anti- AKW- und Anti-Startbahn-West-Bewegung, Friedens-, Anti-NATO-, Antiimperialismus- und „3.- Welt“-Bewegung, Antifa und Anti-Rassismus, Gleichberechtigung und Anti-Repression (Justiz, Knast, Hungerstreik) – alle diese Themen brachten jedenfalls 1981/82 Tausende oder sogar Zigtausende auf die Straße: neben den Häusern die andere „politische Basis“ der Bewegung, die sich schließlich nicht nur durch die Bullen-Aktion am 12.12., sondern auch durch all diese aktuellen Bewegungen politisiert hatte.

Nicht zuletzt das „1, 2, 3, laßt die Leute frei!“, das sich auf die aus den eigenen Reihen verhafteten nd verurteilten Leute bezog, hielt die Bewegung zusammen, zumal bei den wespenstichartigen Räumungen (Obentrautstr. 44 am 10.3.1981, Fraenkelufer 46, 48 und 50 am 25.3.1981, Mittenwalder Str. 45 am 22.6.1981) und den Protesten dagegen immer mehr Leute einfuhren und haarsträubende Urteile kassierten.
Auch wenn manche Häuser Einzelverhandlungen anstrebten, statt sich der Forderung nach einer „Gesamtlösung“ anzuschließen, hielt man sich im großen und ganzen an den bereits resignativen Besetzerrats-Beschluß: verhandeln soll, wer will, aber Verträge werden erst nach Freilassung der Gefangenen unterschrieben...
Moralische Unterstützung leistete eine Eskalationsaktion des neuen Weizsäcker/Lummer (CDU)-Senats: nach einer Neudefinition der „Berliner Linie“ ohne Vernunft wurden, wie schon großkotzig angekündigt, am 22.9.1981 acht Häuser auf einen Schlag geräumt – trotz internationalem TUWAT-Spektakel und breiter öffentlicher Unterstützung: erstmals wurde militant das idealistische „Instandbesetzertum“ ohne radikale politische Absichten ins Feld geführt.
Davon und sogar vom Tod eines Demonstranten unbeeindruckt ging der Staat mit aller Gewalt vor, und wieder führte die militärisch überlegene Repression zu einer vordergründigen Welle der Solidarität: alle begonnenen Verhandlungen wurden abgebrochen, die AL, die prominenten „Paten“ und die vorgesehenen Legalisierungs- Träger boykottierten den „Gesprächskreis“ des Senats.
Offenbar aufgrund der wieder erstarkenden Militanz änderte das System daraufhin seine Strategie: neben der neuen „Berliner Linie“, jede Neubesetzung innerhalb von 24 Stunden zu räumen, und der Aufrüstung der Bullen, samt Aufstellung spezieller Prügel- und Eingreiftrupps, beschlossen die Bezirksparlamente von Kreuzberg und Schöneberg zwecks Deeskalierung „Räumungsmoratorien“ und begannen, neue Legalisierungs- und Träger-Konzepte für ausgewählte Häuser zu entwickeln, die dann auch vorsorglich „Blockräte“ als Ansprechpartner bildeten.
Gleichzeitig wurde staatlicherseits mit Unterstützung der bürgerlichen und der rechten Presse die latente Spaltung der Besetzerbewegung in „brave Instandbesetzer“ und „kriminelle Chaoten“ vehement vorangetrieben, um eine „Gesamtlösung“ für alle besetzten Häuser, und erst recht eine Lösung der Frage des spekulativen Eigentums an Wohnraum zu verhindern. Zu diesem Zweck wurde ab Ende 1981 der Kriminalisierungs- und „Durchsuchungs“-Terror gegen sogenannte „kriminelle Fluchtburgen“ verstärkt: nach staatlicher Buchführung gab es 1981/82 rund 630 „Durchsuchungen“ mit über 3800 „Personalienfeststellungen“.
Jedes Haus, das daraufhin das höhnische Plakat „Achtung, kriminelle Fluchtburg!“ aufhing, wurde „durchsucht“, also gewaltsam gestürmt und mehr oder weniger verwüstet – ein ähnlicher Krieg wurde im Mai 1982 gegen Anti-Reagan-Transparente an den Häusern geführt: der debile Oberschurke war bitter nötig, um noch einmal große Massen zu mobilisieren, aber der Staat reagierte bürgerkriegsmäßig mit der polizeilichen Abriegelung des gesamten östlichen Kreuzberg und der berüchtigten Einkesselung von hunderten von Leuten auf dem Nollendorfplatz, dem Versammlungsort der Anti-Reagan Demo am 11.6.1982, mit „NATO-Draht“...
Die Besetzerbewegung wurde zunehmends in einen Zermürbungskrieg verwickelt, den sie nicht in erster Linie deshalb verlieren mußte, weil sie sich auf von vornherein aussichtslose direkte Auseinandersetzungen mit der überlegenen Staatsmacht einließ, sondern weil sie ihre Macht von im Sommer 1981 fast 170 besetzten Häusern mit mindestens 2000 bis 3000 Bewohnern und zigtausend Unterstützern nicht gemeinsam genutzt, sondern sich hat spalten lassen: die Forderung nach einer „Gesamtlösung“ zerbröckelte immer mehr, auf dem Nichtverhandler-Standpunkt blieben in erster Linie Häuser, die sowieso keine Aussicht auf Legalisierung hatten, und manche, die Aussicht darauf hatten, begannen, wie es wohl staatliches Kalkül war, den Sinn von allgemeiner und „symbolischer“ Militanz zu bezweifeln und sich davon ebenso zu distanzieren, wie von den ständig „durchsuchten“ Häusern, die nicht aus taktischen Gründen auf radikale Parolen verzichten wollten.
Die Bewegung wurde durch permanenten Druck zersplittert und entpolitisiert: die einen wurden durch zunehmende Räumungsdrohungen und regelmäßige „Durchsuchungen“ und Räumungen auf den immer erfolgloseren bloßen Kampf um die Häuser zurückgeworfen, die anderen durch Verhandlungen über Träger- und Fördermodelle und Eigenleistungen bei der „Sanierung“ ihrer Häuser beschäftigt und befriedet. Ende 1984 wurde das letzte Haus legalisiert und das allerletzte geräumt – damit war die Hausbesetzer-Bewegung zerschlagen.
Wenige Jahre später stellten verschiedene Autoren in der Bilanz des Vereins SO 36 („...außer man tut es!“, 1989) fest:

Mit der Durchsetzung der behutsamen Erneuerung und der vertraglichen Absicherung ehemaliger Hausbesetzungen begann ein Normalisierungs- und Klumpenbildungsprozeß, der von keinem äußeren Druck mehr getragen weniger zur Solidarität zwingt und der sich in seinen Aktionen und Träumen mehr und mehr fraktioniert (seit 1984). (…) die pragmatische Arbeit beginnt Ziele und Wünsche auf Übersichtliches und Leistbares zu beschränken, bis zu einem Punkt, wo jede grenzüberschreitende Zielsetzung, jeder utopische Ansatz verlernt ist.“ Man könne „Prozesse (…) der Verregelung von Ausnahmen, der Flurbereinigung zur Anlage neuer Erbhöfe, der Vermoosung von Institutionen als Zuwendungsempfänger, der professionellen Cleverness im Gewand des uneigennützigen Wohltäters erkennen. (…) Es ist aber gleichzeitig eine „Politik der immer kleineren Kreise“, die (…) letztlich beim eigenen Haus, der „Selbstverwirklichung“ durch Selbsthilfe landet und damit eher im Gruppen- und Beziehungskonflikt als im gesellschaftlichen Konflikt endet.“

Nichts anderes hatte die aggressive Polemik der NichtverhandlerInnen im Besetzerrat vorausgesagt...
Die von der BesetzerInnen-Bewegung völlig unabhängige neue Militanz am 1. Mai 1987 und 1989 bewies dann, daß 70 oder 80 legalisierte Hausprojekte tatsächlich nichts an der allgemeinen Lage geändert hatten. Die spätere Besetzung des leerstehenden Dachgeschosses („Erkel“) im frühzeitig legalisierten Projekt am Wassertorplatz hat die Kluft zwischen einem zufriedenen privilegierten „Selbsthilfe- Mittelstand“ und den nach wie vor bestehenden Problemen der Abgehängten aufgezeigt, und daran hat sich bis heute nichts geändert – die Prekarisierung hat schließlich eher zugenommen.

Ebenso, wie Solidarität nach Jahrhunderten kapitalistischer Erodierung von sozialen Verhaltensweisen leider am ehesten gegen einen gemeinsamen Feind und Repression entsteht, sind Häuser offenbar nur eine „politische Basis“, solange sie illegal sind.

Solidarität wird von den legalisierten Projekten und ihren oft neuen, von alten Kämpfen unbeleckten BewohnerInnen nur da praktiziert, wo sie wegen neuerlicher Bedrohung selbst wieder Solidarität von der „Straße“, der sie ursprünglich ihre Existenz verdanken, einfordern müssen und plötzlich ahnen, daß ihre hübschen Häuser doch Teil des gesamtpolitischen Zusammenhangs sind und ihre bequeme subventionierte Ausnahmesituation nur ein zeitweises Aushängeschild des Systems für seine „Liberalität“ war.

- gewidmet meinem Vater zu seinem 85. Geburtstag -
"...wie die ganze Stadt stehengeblieben und also zurückgegangen ist. (...) die Leute sind nur noch knöcherner geworden, die besten sind gestorben, die anderen, die noch schöne Pläne hatten, sind jetzt glückliche Philister und sprechen noch manchmal von ihren Jugenderinnerungen..."
Felix Mendelssohn Bartholdy um 1830 über Berlin (Briefwechsel mit Klingemann, hg. 1909, S. 105)

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