Was hat "Baron" Haussmann mit Paris angestellt?
In erster Linie hat er fanatisch Renaissance-mäßige "Perspektiven" und "Achsen" zwischen Bau-"Monumenten" geschaffen, in zweiter Linie militärische Aufmarsch-Linien gegen das bekanntermaßen aufmüpfige Proletariat, und in dritter und vielleicht folgenreichster Linie hat er Paris endgültig in einen westlichen bourgeoisen und einen östlichen proletarischen Teil gespalten - angesichts der in Europa vorherrschenden westlichen Windrichtungen und der folgenden Verteilung des industriellen Smogs nach Osten eine allgemeine Tendenz (wie z.B. auch in London und Berlin), obwohl Haussmann generell die schmutzige Industrie aus der kaiserlichen Residenz verbannen wollte.
Aber der vorgebliche Baron war nicht nur kaisertreuer Anhänger einer autoritären Ordnung und zentralistischer militärischer Unterdrückung (wie er in seinen vorherigen Präfekturen bewiesen hatte), sowie persönlich ein selbstherrlicher und arroganter Ehrgeizling und Karrierist, sondern, vermutlich seit er selbst als in der "Stadtluft" kränkelndes Kind "auf´s Land" geschickt wurde, zugleich ein pathologischer Paniker gegenüber jeglicher Unordnung und mangelnder Hygiene. Beides war im quasi noch mittelalterlichen Paris des mittleren 19. Jh.s natürlich unübersehbar.
Deren Ursachen, die neo-feudale post-revolutionäre Marginalisierung des Proletariats und die kapitalistische Spekulation der Neureichen, waren dagegen leicht zu durchschauen (vgl. Zola´s "Die Beute" und "Das Geld"): es ging Haussmann aber nicht um eine Beseitigung der Armut, sondern um eine Beseitigung der Armen nach dem Motto: "Aus den Augen, aus dem Sinn!"
Unter seiner quasi "demokratisch" unkontrollierten Verwaltung wurde die Stadt Paris selbst zum größten Immobilien-Spekulanten, und die Enteignungen für die geplanten Boulevards ließen die Bodenpreise explodieren. Die Bebauung der Boulevards überließ er dem "freien Markt" (an dem er sich selbst beteiligte), sodaß haufenweise unverkäufliche Luxus-Wohnungen entstanden, während zigtausende zugewanderte Arbeiter in Baracken auf den Baustellen hausten und weitere zigtausend vertriebene Proleten aus den zerstörten Vierteln in die notdürftig errichteten Slums der östlichen Banlieus (Vorstädte) umsiedeln mußten: die von ihm gnadenlos verachteten "Nomadenstämme" und "Roten", also Abschaum, Republikaner und potentielle Aufrührer... (Ähnliche Zustände herrschten bald darauf in den Slums der Arbeitsuchenden vor den östlichen und nördlichen Stadttoren Berlins, z.B. am Kottbusser Tor...)
Seine Sauberkeits-Neurose hat dem bourgeoisen Paris immerhin ein gesundes Trink- und Abwasser-System nach dem Beispiel London´s beschert (das leider wiederum dem "freien Markt" überantwortet wurde), sowie einige öffentliche Parks (in denen allerdings das Betreten des Rasens verboten war), aber ebenso eine streng standardisierte Baukultur der Boulevards, die mit ihren breiten "Trottoirs" und Alleen anfangs privilegierte "Flaneurs" begeisterte (und mit ihrem unerschwinglichen Luxus marginalisierte Proleten abschreckte), aber bald durch Verbreiterung der Fahrbahnen und Beseitigung der Allee-Bäume zu den heutigen bloßen charakterlosen Verkehrs-Achsen degenerierte...
Diese Strategie ist längst weltweite Normalität: allerorten entstehen Verkehrsachsen, "Monumente" in Form von architektonischen Solitären und spekulative Neubau-Quartiere mit mehr oder weniger luxuriösen Eigentums-Wohnungen, und zwar in einem greulich post-modernen Einheits-Stil, gegen den Haussmanns vorgeschriebener synthetischer Historismus geradezu gemütlich wirkt (ähnlich wie die im Grund stereotype Stuck-Katalog-Gründerzeit-Architektur des Berliner Chamisso-Platzes, während jede aktuelle Baulücken-Schließung nur Erstaunen bis Ekel hervorruft).
"Gentrifizierung" und Immobilien-Blasen blühen, als hätte es die Spekulations-Krisen im 2. Kaiserreich genau so wenig gegeben, wie das Versagen des "Internationalen Stils" in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (vgl. Tati´s Filme "Mon Oncle" und "Playtime") oder die Immobilien-Krise von 2008.
Für die weltweite Verbreitung der ins Groteske übertriebenen Haussmannisierung sorgen die 10 oder 20 global tätigen Architektur-Fabriken der Super-Stars und internationale Stadtplanungs-Büros, wie peinlicherweise das von Albert "Germania" Speer junior...
Frei nach dem 19. Jahrhundert baut man überall ausgerechnet skurrile Opernhäuser und Museen, und frei nach dem 20. Jahrhundert spektakuläre "Wolkenkratzer" und Reißtisch-(bzw. CAD-)geplante "ideale" Wohn-"Siedlungen"...
Wie es Lucius Burckhardt (z,B, in "Die Kinder fressen ihre Revolution", 1985) vorausgesagt hat, muß man die Architektur als Kunst (und die Architekten als Künstler) entzaubern und als Praxis ent-professionalisieren: jeder hat das Zeug zum "Baumeister" seiner Lebenswelt, und funktionierende Städte oder Gemeinden entstehen nur organisch, also dezentral - und zentralistische Groß-Projekte braucht es in den seltensten Fällen, es sei denn, um Massen gleichzuschalten, wie in Veranstaltungs-Palästen, Sport-Stadien usw.
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