Mittwoch, 24. April 2019

Europa, Unsere Liebe Frau (oder "Der Glöckner von Notre Dame")

Am 18.4.2019 veröffentlichte die "Süddeutsche Zeitung" die Übersetzung des "wehmütigen Briefes" eines gewissen Olivier Guez (zeitgleich im französischen "Nouvel Observateur" erschienen) unter dem schmachtenden Titel: "Ach Europa, Deine Symbole".
Was stammelt dieser Guez da populär-symbolistisch vor sich hin? Seine "langjährige Geliebte Europa" ist für ihn offenbar genauso eine Blase, wie für die "Grünen" auf ihren aktuellen Europa-Wahl-Plakaten, oder wie für H. Manns "Untertan" das deutsche "Kaiserreich": trotz "Reichtum Deiner Kulturen" und "Charme Deiner Sprachen" will Guez kein Europa der autonomen Regionen, die ja bloß "den Mund zu voll nehmen", sondern wohl eher eine aufgehübschte EU mit historisierender Architektur und klassischer "Genie"-kultiger Banknoten-Ästhetik (obwohl er wahrscheinlich selbst weder "Dante" noch "Göthe" gelesen hat), damit das "Objekt seiner Begierde" wieder (?) als "elegante Göttin" erscheint und er nicht mehr sehen muß, daß die "zweckmäßige, häßliche, unpersönliche und glatte Architektur der EU-Paläste" der ehrliche Ausdruck des neoliberalen Zweck- und Lobby-Verbandes EU ist, ebenso wie die "sechsköpfige Hydra" der EU-Verwaltung ein treffendes Bild der undemokratischen, technokratischen und partikularistischen EU-Verfassung ist.
Mit Aufhübschung ist es da nicht getan: ein im Sinn des Bürger- und Gemeinwohls funktionierendes "Europa" hat es noch nie gegeben, und folglich hat auch niemand daraus "dieses seelenlose Etwas gemacht" - es war seit der "Montan-Union" ein militärisch-industrieller Komplex, dem aus Marketing-Gründen "Städte-Partnerschaften" und ähnliches angehängt wurden, um die erste (inner-europäische) Globalisierung, also "Gastarbeiter" und Auslagerung in Billiglohn-Länder, etwas volkstümlicher zu machen und den "Ballermann"-Tourismus anzukurbeln.
Wenn "Europa" sich nicht nur, wie in der griechischen Sage und in der Börsen-Metapher, wehrlos von einem Stier bespringen lassen will, muß es eine gemeinsame soziale und ökologische Ökonomie entwickeln oder sich auflösen: mit vorgespiegelt romantischer "Völkerverständigung", einem angeblichen "global Village" auf europäischer Ebene oder einer herbei-phantasierten "kulturellen Einheit" samt ihren "Symbolen" läßt sich kein "Staat machen", solange die einzige Gemeinsamkeit die der Banken und Konzerne ist - mit Victoria Nudelman gesagt: "Fuck the EU!" (Sie hatte bloß vergessen, hinzuzufügen: "And the USA!")
Guez´s sentimentales Lamento erscheint (ohne ihn explizit zu erwähnen) nicht zufällig nach dem Dachstuhl-Brand von "Notre Dame", also von einem der klischeehaften "Symbole" von "Ach Europa" - einem Herrschafts-Monument mittelalterlich feudal-klerikaler Verschwendung von Arbeitskraft, Material, Produktivität und Menschenleben, das von einer spät-romantischen Kunstgeschichts-Schreibung zum "National-Heiligtum" erhoben wurde - ähnlich wie "Dante" und "Göthe", von denen man längst nur noch die hehren Namen kennt: bekannter ist wahrscheinlich der Film "Fuck Ju, Jöte"...
Daß "Europa" eine Chimäre ist, erkennt man ja eben schon daran, daß es seit "Akropolis", "Notre Dame", "Dante" und "Göthe" tatsächlich nichts hervorgebracht hat, womit seine Untertanen sich folkloristisch "identifizieren" könnten, sondern nur die "häßlichen Paläste" für Lobby-gesteuerte Bürokraten, den "Teuro", die entfesselten "Märkte" und einen zunehmend neo-feudalen Finanz-Kapitalismus - alles andere ist durchschaubare Propaganda und romantisierende Augenwischerei von Kälbern, die ihre Schlächter gemäß dem Bonmot sogar selber wählen und sich zuvor noch unter vorgesetzten "Symbolen" scharen, wobei es egal ist, ob es das "glatte" World Trade Center oder eine gotische Kathedrale ist: der Normal-Bürger interessiert sich weder für "Bauhaus"-Kubismus, noch für mittelalterliche Statik-Revolutionen, sondern knipst nur brav die als "Sehenswürdigkeiten" etikettierten Kulissen.
Sollen wir uns jetzt in der "besten aller möglichen Welten" fühlen, weil paar französische Milliardäre jeweils weniger als ein halbes Prozent ihrer ergaunerten Vermögen für die Rekonstruktion der touristischen Kulisse von Paris "gespendet" haben, und sollen wir glauben, daß sie die damit verbundenen ziemlich erheblichen Steuer-Vorteile nicht wahrnehmen wollen, wie sie das ansonsten seit Jahrzehnten gewohnheitsmäßig tun?
Sollen wir "Oho!" oder "Oh lá lá!" sagen, weil das alberne Macrönchen bombastisch als Kirchen-Baumeister keinen Geringeren als den ehemaligen Oberbefehlshaber der französischen Armee bestimmt hat, einen 70-jährigen 5-Sterne-General, der schon die Überfälle auf Jugoslawien und Afghanistan gemeistert hat und jetzt gleich kernig schwadroniert, er werde "alle Teilnehmer für die Schlacht mobilisieren"?
Parallel zu dieser kämpferischen Denkmals-Mobilisierung kennt auch das Macrönchen (ganz der Theater-Kaiser) jetzt "keine Parteien und Gelbwesten mehr, sondern nur noch Franzosen" bzw. Welt-(kulturerbe-)bürger, und immerhin sind nach dem Brand seine miesen Umfragewerte erstmal wieder gestiegen...
Was natürlich nicht heißt, daß sein Staatssekretär persönlich Brandbeschleuniger versprüht hat, um die Lage vor der Europa-Wahl zugunsten des Macrönchens zu dramatisieren, aber trotzdem kann man sich (wie Natascha Ochsenknecht - s .z.B./www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.notre-dame-ochsenknecht-culcha-candela-und-co-kritisieren-millionen-spenden.39b81eb8-5228-45b9-a656-e6797eb9e23c.html) wundern, wie sie es immer wieder schaffen, daß "Symbole", in diesem Fall ein heimeliger Haufen Steine, mehr Menschen und Geld bewegen, als der Haufen echter Probleme, den z.B. die Gelbwesten anprangern: angesichts einer in "Oben" und "Unten" zerfallenden Gesellschaft hat es was von archaischem Fetischismus, über "Symbole von nationaler Identität" zu räsonnieren - Notre Dame ist ein angenehmerer Anblick, als alle architektonischen Pariser Großprojekte der letzten Jahrzehnte (und als das World Trade Center), und es ist schön, daß die Kirche nicht Haussmann zum Opfer gefallen ist: das reicht doch schon.

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