(abgedruckt in: amantine (Hg.): "Die Häuser den, die drin wohnen!" Kleine Geschichte der Häuserkämpfe in Deutschland, Unrast-Verlag, Münster 2012, 7,80 €)
Peter Stebel: Teile und herrsche!
Bis Ende 1980 waren in
West-Berlin nach und nach
an die 20 Häuser, zumeist in Kreuzberg, teils oder ganz besetzt
worden. Angesichts von Abriß-„Sanierung“ und spekulativem
Leerstand wurde das bis in die bürgerliche Presse hinein
sympathieweckende Wort „Instand(be)setzung“ erfunden.
Schien sich daraufhin
fast die Duldung von konservierenden Besetzungen in „abgeschriebenen“
Quartieren nach dem bereits bestehenden Muster von Amsterdam oder
London abzuzeichnen, so änderte sich die Lage mit der massiven
polizeilichen Räumung des soeben besetzten Hauses Fraenkelufer 48 am
12.12.1980 und dem brutalen Vorgehen der Bullen gegen die folgenden
Proteste: die staatliche Repression politisierte und mobilisierte
innerhalb von wenigen Wochen dermaßen viele Leute, daß in den
nächsten Monaten über 200 Häuser besetzt wurden, zunächst vor
allem in Kreuzberg, aber auch in Schöneberg, in Neukölln, in
Charlottenburg, im Wedding, in Moabit, in Spandau, in Zehlendorf und
in anderen südlichen Bezirken. Damit, und aufgrund der vom Vogel
(SPD)-Übergangssenat nach dem Garski-Skandal im Januar 1981
ausgerufenen „Berliner Linie der Vernunft“ (keine Räumungen ohne
„triftigen Grund“), hatte die Berliner Hausbesetzer-Bewegung eine
beachtliche räumliche Struktur erobert und autonom organisiert:
„Manche Gruppen
(...) versuchten, besetzte Gebäude nicht nur als „Möglichkeiten
alternativen Lebens und Wohnens“, sondern auch als „politische
Basis im Kampf gegen diesen Staat“ zu entwickeln. Nahezu alle
Gruppen sahen sich als Teil einer über die Grenzen der
Bundesrepublik hinweg (...) reichenden Protestbewegung“,
wie der
Verfassungsschutzbericht 1980/81 schon ganz richtig dargestellt
hatte.
Aber von Anfang an gab es
den Konflikt zwischen Verhandlungswilligen und NichtverhandlerInnen:
die einen wollten in erster Linie den Stadtteil und seine Strukturen,
sowie ihren eroberten Wohn- und vor allem Arbeitsraum sichern
(verhandlungswillig waren vor allem Häuser mit konkreten Projekten,
ähnlich der bereits legalisierten Ufa-Fabrik), die anderen stellten
die Grundsatzfrage nach Eigentum an Wohnraum in Verbindung mit
anderen politischen Themen: Umwelt-, Anti- AKW- und
Anti-Startbahn-West-Bewegung, Friedens-, Anti-NATO-,
Antiimperialismus- und „3.- Welt“-Bewegung, Antifa und
Anti-Rassismus, Gleichberechtigung und Anti-Repression (Justiz,
Knast, Hungerstreik) – alle diese Themen brachten jedenfalls
1981/82 Tausende oder sogar Zigtausende auf die Straße: neben den
Häusern die andere „politische Basis“ der Bewegung, die sich
schließlich nicht nur durch die Bullen-Aktion am 12.12., sondern
auch durch all diese aktuellen Bewegungen politisiert hatte.
Nicht zuletzt das „1,
2, 3, laßt die Leute frei!“, das sich auf die aus den eigenen
Reihen verhafteten nd verurteilten Leute bezog, hielt die Bewegung
zusammen, zumal bei den wespenstichartigen Räumungen (Obentrautstr.
44 am 10.3.1981, Fraenkelufer 46, 48 und 50 am 25.3.1981,
Mittenwalder Str. 45 am 22.6.1981) und den Protesten dagegen immer
mehr Leute einfuhren und haarsträubende Urteile kassierten.
Auch wenn manche Häuser
Einzelverhandlungen anstrebten, statt sich der Forderung nach einer
„Gesamtlösung“ anzuschließen, hielt man sich im großen und
ganzen an den bereits resignativen Besetzerrats-Beschluß: verhandeln
soll, wer will, aber Verträge werden erst nach Freilassung der
Gefangenen unterschrieben...
Moralische Unterstützung
leistete eine Eskalationsaktion des neuen Weizsäcker/Lummer
(CDU)-Senats: nach einer Neudefinition der „Berliner Linie“ ohne
Vernunft wurden, wie schon großkotzig angekündigt, am 22.9.1981
acht Häuser auf einen Schlag geräumt – trotz internationalem
TUWAT-Spektakel und breiter öffentlicher Unterstützung: erstmals
wurde militant das idealistische „Instandbesetzertum“ ohne
radikale politische Absichten ins Feld geführt.
Davon und sogar vom Tod
eines Demonstranten unbeeindruckt ging der Staat mit aller Gewalt
vor, und wieder führte die militärisch überlegene Repression zu
einer vordergründigen Welle der Solidarität: alle begonnenen
Verhandlungen wurden abgebrochen, die AL, die prominenten „Paten“
und die vorgesehenen Legalisierungs- Träger boykottierten den
„Gesprächskreis“ des Senats.
Offenbar aufgrund der
wieder erstarkenden Militanz änderte das System daraufhin seine
Strategie: neben der neuen „Berliner Linie“, jede Neubesetzung
innerhalb von 24 Stunden zu räumen, und der Aufrüstung der Bullen,
samt Aufstellung spezieller Prügel- und Eingreiftrupps, beschlossen
die Bezirksparlamente von Kreuzberg und Schöneberg zwecks
Deeskalierung „Räumungsmoratorien“ und begannen, neue
Legalisierungs- und Träger-Konzepte für ausgewählte Häuser zu
entwickeln, die dann auch vorsorglich „Blockräte“ als
Ansprechpartner bildeten.
Gleichzeitig wurde
staatlicherseits mit Unterstützung der bürgerlichen und der rechten
Presse die latente Spaltung der Besetzerbewegung in „brave
Instandbesetzer“ und „kriminelle Chaoten“ vehement
vorangetrieben, um eine „Gesamtlösung“ für alle besetzten
Häuser, und erst recht eine Lösung der Frage des spekulativen
Eigentums an Wohnraum zu verhindern. Zu diesem Zweck wurde ab Ende
1981 der Kriminalisierungs- und „Durchsuchungs“-Terror gegen
sogenannte „kriminelle Fluchtburgen“ verstärkt: nach staatlicher
Buchführung gab es 1981/82 rund 630 „Durchsuchungen“ mit über
3800 „Personalienfeststellungen“.
Jedes Haus, das daraufhin
das höhnische Plakat „Achtung, kriminelle Fluchtburg!“ aufhing,
wurde „durchsucht“, also gewaltsam gestürmt und mehr oder
weniger verwüstet – ein ähnlicher Krieg wurde im Mai 1982 gegen
Anti-Reagan-Transparente an den Häusern geführt: der debile
Oberschurke war bitter nötig, um noch einmal große Massen zu
mobilisieren, aber der Staat reagierte bürgerkriegsmäßig mit der
polizeilichen Abriegelung des gesamten östlichen Kreuzberg und der
berüchtigten Einkesselung von hunderten von Leuten auf dem
Nollendorfplatz, dem
Versammlungsort der Anti-Reagan Demo am 11.6.1982, mit
„NATO-Draht“...
Die Besetzerbewegung
wurde zunehmends in einen Zermürbungskrieg verwickelt, den sie nicht
in erster Linie deshalb verlieren mußte, weil sie sich auf von
vornherein aussichtslose direkte Auseinandersetzungen mit der
überlegenen Staatsmacht einließ, sondern weil sie ihre Macht von im
Sommer 1981 fast 170 besetzten Häusern mit mindestens 2000 bis 3000
Bewohnern und zigtausend Unterstützern nicht gemeinsam genutzt,
sondern sich hat spalten lassen: die Forderung nach einer
„Gesamtlösung“ zerbröckelte immer mehr, auf dem
Nichtverhandler-Standpunkt blieben in erster Linie Häuser, die
sowieso keine Aussicht auf Legalisierung hatten, und manche, die
Aussicht darauf hatten, begannen, wie es wohl staatliches Kalkül
war, den Sinn von allgemeiner und „symbolischer“ Militanz zu
bezweifeln und sich davon ebenso zu distanzieren, wie von den ständig
„durchsuchten“ Häusern, die nicht aus taktischen Gründen auf
radikale Parolen verzichten wollten.
Die Bewegung wurde durch
permanenten Druck zersplittert und entpolitisiert: die einen wurden
durch zunehmende Räumungsdrohungen und regelmäßige
„Durchsuchungen“ und Räumungen auf den immer erfolgloseren
bloßen Kampf um die Häuser zurückgeworfen, die anderen durch
Verhandlungen über Träger- und Fördermodelle und Eigenleistungen
bei der „Sanierung“ ihrer Häuser beschäftigt und befriedet.
Ende 1984 wurde das letzte Haus legalisiert und das allerletzte
geräumt – damit war die Hausbesetzer-Bewegung zerschlagen.
Wenige Jahre später
stellten verschiedene Autoren in der Bilanz des Vereins SO 36
(„...außer man tut es!“, 1989) fest:
„Mit der
Durchsetzung der behutsamen Erneuerung und der vertraglichen
Absicherung ehemaliger Hausbesetzungen begann ein Normalisierungs-
und Klumpenbildungsprozeß, der von keinem äußeren Druck mehr
getragen weniger zur Solidarität zwingt und der sich in seinen
Aktionen und Träumen mehr und mehr fraktioniert (seit 1984). (…)
die pragmatische Arbeit beginnt Ziele und Wünsche auf
Übersichtliches und Leistbares zu beschränken, bis zu einem Punkt,
wo jede grenzüberschreitende Zielsetzung, jeder utopische
Ansatz verlernt ist.“ Man
könne „Prozesse (…) der Verregelung von Ausnahmen, der
Flurbereinigung zur Anlage neuer Erbhöfe, der Vermoosung von
Institutionen als Zuwendungsempfänger, der professionellen
Cleverness im Gewand des uneigennützigen Wohltäters erkennen. (…)
Es ist aber gleichzeitig eine „Politik der immer kleineren Kreise“,
die (…) letztlich beim eigenen Haus, der „Selbstverwirklichung“
durch Selbsthilfe landet und damit eher im Gruppen- und
Beziehungskonflikt als im gesellschaftlichen Konflikt endet.“
Nichts anderes hatte die
aggressive Polemik der NichtverhandlerInnen im Besetzerrat
vorausgesagt...
Die von der
BesetzerInnen-Bewegung völlig unabhängige neue Militanz am 1. Mai
1987 und 1989 bewies dann, daß 70 oder 80 legalisierte Hausprojekte
tatsächlich nichts an der allgemeinen Lage geändert hatten. Die
spätere Besetzung des leerstehenden
Dachgeschosses („Erkel“) im frühzeitig legalisierten Projekt am
Wassertorplatz hat die Kluft zwischen einem zufriedenen
privilegierten „Selbsthilfe- Mittelstand“ und den nach wie vor
bestehenden Problemen der Abgehängten aufgezeigt, und daran hat sich
bis heute nichts geändert – die Prekarisierung hat schließlich
eher zugenommen.
Ebenso, wie Solidarität
nach Jahrhunderten kapitalistischer Erodierung von sozialen
Verhaltensweisen leider am ehesten gegen einen gemeinsamen Feind und
Repression entsteht, sind Häuser offenbar nur eine „politische
Basis“, solange sie illegal sind.
Solidarität wird von den
legalisierten Projekten und ihren oft neuen, von alten Kämpfen
unbeleckten BewohnerInnen nur da praktiziert, wo sie wegen
neuerlicher Bedrohung selbst wieder Solidarität von der „Straße“,
der sie ursprünglich ihre Existenz verdanken, einfordern müssen und
plötzlich ahnen, daß ihre hübschen Häuser doch Teil des
gesamtpolitischen Zusammenhangs sind und ihre bequeme subventionierte
Ausnahmesituation nur ein zeitweises Aushängeschild des Systems für
seine „Liberalität“ war.
- gewidmet meinem Vater zu seinem 85. Geburtstag -
"...wie die ganze Stadt stehengeblieben und also zurückgegangen ist. (...) die Leute sind nur noch knöcherner geworden, die besten sind gestorben, die anderen, die noch schöne Pläne hatten, sind jetzt glückliche Philister und sprechen noch manchmal von ihren Jugenderinnerungen..."
Felix Mendelssohn Bartholdy um 1830 über Berlin (Briefwechsel mit Klingemann, hg. 1909, S. 105)