Montag, 4. Oktober 2010

Arbeit ist ein Verhängnis

"(...) Man muß zwischen arbeiten und tätig sein unterscheiden. Wenn die Arbeit dazu führt, daß man sich dabei selbst erfährt und seinem Leben einen Ausdruck gibt, dann ist sie nicht entfremdet und eine vernünftige Tätigkeit. Wenn die Tätigkeit dagegen trostlos und entfremdet ist, ist es auf jeden Fall Arbeit. (...)
Ich habe nie verstanden, warum sich Menschen so süchtig über Arbeit definieren wollen und ihr Dasein als sinnhaftes Mitglied der Gesellschaft nur über ihre Arbeit definieren.
(...) es ist doch allzu deutlich, daß der gesamte Arbeitsmarkt von Menschen wimmelt, die entweder eine nicht sinnvolle, nicht befriedigende oder gar selbstzerstörerische Arbeit machen, Menschen, die ihre Arbeit mit Angst und nicht mit Befreiung verbinden: Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, Angst vor Sanktionen, Angst, die Arbeit nicht zu schaffen. Ich habe die Wollust nie verstanden, die von der Arbeit ausgehen soll.
(...) Für mich ist der Philosoph Baruch de Spinoza zentral, der zu Beginn der Aufklärung das Postulat aufstellte, nie eine Arbeit zu tun, die direkt oder vermittelt anderen Schaden zufügt. (...) Heute haben viele Menschen im Konkurrenzkampf um die Arbeitsplätze eine fast hundertprozentige Ignoranz gegenüber diesem Anspruch. Jeder ist bereit, jede Arbeit zu machen - und sei sie noch so schädlich für andere, für die eigene Seele, für den gesellschaftlichen Zusammenhalt oder den eigenen Körper. In schöner kapitalistischer Selbstverständlichkeit sagt man in Amerika gern dazu: "It´s my job." Das hat für mich einen ähnlichen Klang wie das "Ich habe nur meine Arbeit gemacht" der Vollstrecker in Diktaturen.
(...) Das ist doch lange vorbei - der Glaube, daß man durch Arbeit die Möglichkeit erhält, in einem gewissen Luxus zu leben. Heute geht es doch bei den meisten darum, mit dem Gehalt einigermaßen die Wohnung und die Ernährung zu bezahlen. Oder das Bier in der Stammkneipe, in die man sich ohne einen Arbeitsplatz nicht mehr hinein traut. Es ist doch billiges Blendwerk, daß man sich durch Arbeit Wünsche erfüllen kann und sich statt mit der Freiheit mit einer Art Freizeit-Freiheit als Ersatz zu begnügen.
(...) Es muß strukturelle Änderungen geben. Schauen wir uns mal die Kohle-Kumpel an. Jeder weiß, daß deren Arbeit mörderisch und sinnlos ist. Sie zerstört die Gesundheit der Arbeiter, die Umwelt, den Planeten. Gleichzeitig ist sie nicht mal profitabel, sondern wird massiv staatlich gefördert. (...) Billiger und verantwortungsvoller wäre es, all diesen Menschen ihre Gehälter weiter zu bezahlen - unter der Bedingung, daß sie nicht mehr in die Grube fahren. Das wäre wesentlich billiger, nicht nur unmittelbar, sondern vor allem langfristig hinsichtlich der Verwüstungen, die fossile Brennstoffe anrichten. (...)
Das (Grundeinkommen für alle Menschen, also auch für die, die nicht arbeiten und keine Arbeit suchen) ist unvermeidlich, denn das Wunder, unendliches Wachstum bei endlichen Ressourcen zu erreichen, wird es nicht geben. Es wird immer offensichtlicher, daß aller technologische Fortschritt, der mit dem ideologischen Getöse der Arbeitserleichterung daherkommt, letztlich zu Mehrarbeit führt, anstatt uns von der Arbeit zu befreien. (Hier ist R. M. etwas undeutlich: technologischer Fortschritt führt letzlich zu Mehrproduktion durch Mehrarbeit weniger Qualifizierter und Prekarisierung vieler bei Gewinnabschöpfung durch die kapitalistische Oligarchie - pstebel25) Schon früh wurden Maschinen erfunden, um die Handarbeit zu ersetzen. Das hat aber schon damals weniger zur Verringerung der Arbeit geführt, sondern vor allem zur Steigerung der Produktivität. Heute versucht man, auf der Basis technologischer Innovationen und völliger Überproduktion immer wieder Tricks zu finden, um das Wachstum zu steigern, anstatt zu sagen: wir nutzen die Technologie, die Maschinen, Computer und Roboter, um uns die Arbeit abnehmen zu lassen und uns sinnvolleren Tätigkeiten zu widmen.
(...) Es gibt ja (durch das Internet) durchaus Entwicklungen und Möglichkeiten, sein Auskommen zu finden, die lange nicht denkbar ware. Andererseits ist das doch nur ein ideologischer Baldachin über einer realen Zwangssituation. Es gibt immer weniger klassische Arbeitsplätze und immer mehr Konkurrenz darum, und es gibt den enormen Druck, seine eigenen Jobs zu erfinden, ein Selbständiger oder Kreativer zu sein. Das bedeutet aber nicht, daß das sinnvollere oder nachhaltigere Dinge sind. Der Druck bedeutet vielmehr, daß man sich auf dem Arbeitsmarkt Nischen neuer entfremdeter Arbeit sucht, in denen man kaum Unterstützung findet.
(...) Es ist schon sehr destruktiv, daß viele Menschen für Geld jederzeit bereit sind, Jobs mit verheerenden Auswirkungen auf die Umwelt und die Freiheit anderer Menschen auszuüben. Für mich sind das Mittäter an den sozialen Verwüstungen.
(... Das) entspricht nicht den Freiheitsmöglichkeiten, die in der heutigen Zeit gegeben sind. Man könnte jedem Menschen garantieren, sinnhaft tätig zu werden. Und beim jetzigen Stand der Produktion und der technischen Möglichkeiten das Fortkommen aller Menschen garantieren - ohne Ausbeutung und Zerstörung. Diesen Job müssen wir erledigen."

 
Der Wiener Philosoph und Schriftsteller Robert Menasse im Gespräch mit "fluter" (Nr.36, S. 29f, Hg. Bundeszentrale für politische Bildung, 2010) - vgl. R. Menasse: Permanente Revolution der Begriffe (Suhrkamp, 2010)

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