Mittwoch, 7. Oktober 2009

Kein Mensch braucht die protestantische Arbeitsmoral!

"Die Vorstellung, daß der `Job´ die Antwort auf alle Sorgen ist, individuelle oder soziale, ist eines der bösartigsten Märchen der heutigen Gesellschaft. Es wird von Politikern, Eltern, Industriellen und Zeitungsmoralisten auf der politisch Linken und Rechten verbreitet: das Paradies, sagen sie, ist die `Vollbeschäftigung´.
Aber es klafft eine breite Lücke zwischen den Erwartungen hinsichtlich des Jobs und seiner Wirklichkeit. Wenn wir in die normale Arbeitswelt eintreten, entsetzen uns sehr bald die Erniedrigungen, denen wir ausgesetzt sind. Um unser streng geregeltes Arbeitsleben zu verteidigen, heißt es: `Oh, aber die Leute haben Spaß an der Arbeit wegen des menschlichen Miteinanders.´ Nein, die Leute haben Spaß am menschlichen Miteinander trotz der miesen Bedingungen. Nimmt denn irgendjemand allen Ernstes an, jedes menschliche Miteinander würde aufhören, wenn wir ohne Job wären? Und über Spaß bei der Arbeit wird sowieso oft die Stirn gerunzelt.
Vor dem Aufkommen von Dampfmaschinen und Fabriken in der Mitte des 18. Jh.s war Arbeit eine viel willkürlichere und weniger strukturierte Angelegenheit. Die Menschen arbeiteten soviel wie sie mußten, und nicht mehr. Zeit war nicht Geld, wie Benjamin Franklin später behaupten sollte. Arbeit und Leben waren ineinander verflochten.
Doch diese chaotische Haltung störte zeitgenössische Moralisten, die glaubten, die Menschen müßten auf Trab gebracht werden, damit sie keine Dummheiten machten.
Die Industrielle Revolution war vor allem ein Kampf zwischen harter Arbeit und Faulheit, und die harte Arbeit hat gesiegt. Maschinen raubten den Herstellungsprozeß aus Händen und Köpfen. Mit andern Worten: der Job wurde erfunden, um für die oben alles einfacher zu machen. Den Leuten wurde die Unabhängigkeit genommen, um dem erhabenen Traum eines gesellschaftlich aufstrebenden Fabrikbesitzers dienlich zu sein, der an harte Arbeit glaubte - an die anderer Leute.
Entscheidend war, daß das neue freudlose Kredo der Methodisten den werktätigen Armen gepredigt wurde. In der Kirche wurde ihnen der Gedanke eingebläut, daß sie sündig waren, daß jeder Spaß ein Fehler ist und daß stilles Dulden der Weg zum Heil auf dieser Erde ist. `Brecht ihren Willen beizeiten´, schrieb J. Wesley, der Begründer des Methodismus, `laßt einem Kind ab dem Alter von einem Jahr die Lehre zuteil werden, daß es die Rute zu fürchten und leise zu weinen hat...´
Eine gute Ersatzwaffe, falls Gottesfurcht nicht hinreichte, um die bäuerlichen Drohnen in städtische Arbeitsbienen zu verwandeln, war der Hunger: je niedriger der Lohn, desto härter würde sich das Proletariat schinden. Wieder ist es das Dogma harter Arbeit - tief verwurzelt in den Vorstellungen, was es heißt, Amerikaner zu sein -, das uns am Schuften hält und gleichzeitig glücklich darüber sein läßt, dermaßen ausgebeutet zu werden.
Der Kapitalismus hat den Job zu einer Religion gemacht, tragischerweise aber auch der Sozialismus. Die Linken sind mit dem sozialistischen Traum von der `Vollbeschäftigung´ einer Gehirnwäsche unterzogen worden.
Zeit ist nicht Geld! Arbeit und Muße können sich wieder verbinden! Es ist Zeit, die Kontrolle zu übernehmen, Arbeit und Leben wieder zu einer glücklichen Harmonie zusammenzuführen."
(Tom Hodgkinson, 2004)

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