Elend durch "Fortschritt"
"Überall sinken die Massen der Arbeiterklasse (und der Arbeitslosen) tiefer, in dem selben Verhältnis wenigstens, wie die Klassen über ihnen in der gesellschaftlichen (und wirtschaftlichen) Waagschale aufschnellten. Und so ist es jetzt in allen Ländern Europas eine Wahrheit, dass keine Entwicklung der Maschinerie, keine chemische Entdeckung, keine Anwendung der Wissenschaft auf die Produktion, keine Verbesserung der Kommunikationsmittel, keine Eröffnung von neuen Märkten, kein Freihandel, noch alle diese Dinge zusammengenommen das Elend der arbeitenden Massen beseitigen können, sondern dass vielmehr umgekehrt, auf der gegenwärtigen falschen Grundlage, jede frische Entwicklung der Produktivkräfte der Arbeit dahin streben muss, die sozialen Kontraste zu vertiefen und den sozialen Gegensatz zuzuspitzen."
(Gründungsmanifest der 1. Internationale, London 1864)
"Der Menschheit verwunderliche Idiotie:
Die gewaltige Entwicklung von Naturwissenschaft und Technik hat im Verlauf des 19. Jh.s die Fähigkeit des Menschen mehr als verzehnfacht herzustellen, was er benötigt. Nichtsdestoweniger lebt die Masse der Menschen immer noch das gleiche kümmerliche Leben von der Hand in den Mund, in unaufhörlicher Sorge von Tag zu Tag. Millionen unter ihnen leiden immer noch beständig Not.
Wenn Menschen vor Jahrhunderten von ihrer Arbeit einigermaßen leben konnten, und nun ihre Produktivkraft verzehnfacht haben, warum in aller Welt nützt da kein einziger Mensch diese verzehnfachte Fähigkeit, wenigstens im Überfluß zu produzieren, was er braucht, um sich eine ökonomisch sorgenfreie Existenz zu sichern?
Daß nicht jeder Mensch zu jeder Zeit alles für seinen Alltag zur Verfügung hat, ist umso törichter, als jeder mit ein wenig Nachdenken folgendes begreifen wird: Es kostet nicht halb soviel Arbeit, wie es jetzt kostet, nur ein einziges Individuum reich und den Rest der Menschheit zu einer Ansammlung bedauernswerter Teufel zu machen, die ihr ganzes Leben durch ökonomische Sorgen vergiften.
Wenn alles, was die Menschen verbrauchen, überall und zu jeder Zeit überreichlich zur Verfügung stünde, verschwänden Handel und Kaufmannschaft, Geldwesen und Rechnungsführung, Bank-, Börsen- und Geldgeschäfte. Die enorme Arbeit von Millionen Menschen würde eingespart.
Wenn jeder alles, was er braucht, zur Verfügung hat, hat das Eigentumsrecht an dem, was ich selbst nicht brauche, keinen Sinn mehr. Das Rechtswesen kann sich darauf beschränken, das allgemeine Eigentumsrecht zu beschützen, und die Arbeit von Millionen Richtern, Gerichts- und Gefängnisangestellten und Polizisten kann eingespart werden werden.
Ferner gibt es keinen Streit mehr zwischen den ökonomischen Interessen der Länder: all die Millionen Soldaten können folglich die Waffen niederlegen und die Uniformen wegwerfen. Und der gewaltige Arbeiterstamm, der Kriegsmaterial fabriziert, kann ebenfalls die Arbeit niederlegen und hat nun die Hände frei.
Die Regierungen könnten ihre Handels-, Justiz- und Kriegsministerien schließen - wieder Millionen, deren Arbeit überflüssig wird.
Und wenn die Produktion nicht mehr von den Kapitalisten geleitet wird, um Geld zu verdienen, sondern von der Bevölkerung selbst ausgeführt wird mit dem einzigen Ziel vor Augen, beizuschaffen, was sie braucht, um es allen zur Verfügung zu stellen, dann fängt man einfach an mit den Leuten, die meinen, daß sie jenes benötigen. Die Bevölkerung wird dann allgemeinnützige Arbeiten ohne irgendwelchen Geldblödsinn, Anträge an die Regierung oder Erklärungen von Sachverständigen ausführen, in Gebrauch nehmen und administrieren.
Danach können sich die Regierung und die Nationalversammlung ruhig selber auflösen und auseinandergehen.
Und doch, all diese wahnwitzig vielen Millionen, deren Arbeitskraft jetzt vergeudet wird für unproduktive Arbeit, repräsentieren immer noch alle zusammen nicht einmal die Hälfte der Arbeitskraft, die im ganzen eingespart würde, wenn die Menschen endlich zur Vernunft kämen und aufhörten, Produktion zum Zweck des Geldverdienens zu betreiben, sondern herstellen würden, was jeder einzelne Mensch tagtäglich braucht (und zwar mit einem Bruchteil der derzeitigen Arbeitszeit pro Person)."
(Hans Jaeger, Oslo 1906)
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