Die Hamburger "Miniatur-Wunderwelt"-Modelleisenbahn-Anlage im Maßstab 1:87 ("H0") ist angeblich die bedeutendste Touristen-Attraktion Deutschlands - noch vor dem echten Neuschwanstein oder dem in 1:1 aufpolierten Brandenburger Tor.
Die Berliner Version mit dem hippen Blödelnamen "Loxx" war eigentlich ähnlich erfolgreich: 2007 hatten die Marketing-Manager des "Alexa"-Centers die Betreiber der charlottenburger 600-m²-Anlage überredet, in die Plattenbau-Shopping-Mall am Alexanderplatz umzuziehen, und dort entstand dann ein verkleinertes und komprimiertes Berlin von 800 m², das mit viel Detail-Liebe und auch kritischem Humor, mit überzeugender Patina und sogar mit einem funktionierenden Flughafen, mit stadtplan-mäßigem Wiedererkennungswert und natürlich mit fahrenden Zügen, Bussen und Autos, sowie mit Tag und Nacht simulierender Beleuchtung ausgestattet, dank enthusiastischer Mitarbeiter (der Traum-Job für das "Märklin"-Kind im Manne) kontinuierlich wuchs...
Anläßlich der Verlängerung des 10-Jahres-Mietvertrags haben 2017 die Profitgeier des "Center"-Managements offenbar neue Bedingungen gestellt, die die Betreiber zum Aufgeben gezwungen haben - nachdem bei einer "Ebay"-Versteigerung der geforderte Mindestpreis nicht geboten wurde, mußte Mini-Berlin schließlich zum Schnäppchenpreis in den Miniaturpark in Leer (bekannt aus Ostfriesen-Witzen) umziehen: genausogut könnte man die New Yorker "Freiheits-Statue", weil der Erbpachtvertrag für Liberty Island ausläuft und die neue Pacht zu teuer ist, nach Kansas City oder nach Guantanamo umsetzen... Wenn die Einkaufszentren noch unter staatlicher "Mitropa"- oder "HO"-(Hah-Oh)-Verwaltung wären, statt unter Share-Holder-Value-Verwaltung, wäre das dieser H0-(Hah-Null = 1:87)-Anlage jedenfalls nicht passiert...
Aber die brave bürgerliche Presse (z.B.: www.tagesspiegel.de/berlin/berlin-alexanderplatz-modellbahn-loxx-macht-dicht-und-wird-versteigert/19987658.html) hatte längst die reinigende "unsichtbare Hand des Marktes" ausgemacht: noch während "Loxx" in transportgerechte Stücke zersägt wurde, eröffnete neben dem Fernsehturm die weniger hip-benannte "Little Big City" und legte ihre Las-Vegas-häßlichen Werbe-Faltblätter aus - endlich mal was "Modernes" (laut "Tagesspiegel"): "brandneu", "interaktiv" und mit "beeindruckenden Spezialeffekten", auf "neue Art" und "größer": "Miniatur wie nie zuvor" (laut Eigenwerbung).
Oukäij (wie man heutzutage zu Allem zu sagen pflegt) - schreiten wir also zum Selbstversuch: die Schlange ist kurz, aber die offenbar customer-orientation-geschulte Ticket-Verkäuferin versucht gerade eine Viertelstunde lang vergeblich, ein spanisches(?) Touristen-Paar zum Kauf von vergünstigten Kombi-Tickets und überteuerten Begleit-Broschüren zu überreden - als wir dran sind, stellt sich raus, daß der Eintritt (16 €) fast doppelt so teuer ist, wie für "Loxx": aber wo wir schon mal extra hergekommen sind...
Zuerst wird man von einem uniformierten 450-€-Job-Animateur zu einem Las-Vegas-albernen "Erinnerungs-Foto" gezwungen (das man am Ende für 10 € kaufen soll), dann darf man eine labyrinthische Halle voller widersprüchlicher Licht- und Geräuscheffekte betreten, die leider alle gleichzeitig wahrnehmbar sind...
"Modern" sind wahrscheinlich die kleinen Hologramm-Ansager, die in Gebäude-Fenstern Roaring-Twenties-Las-Vegas-mäßig rumgrölen ("Hallööchen, Leute, ich hab was besonders Großartiges für euch..."), ein paar Hebel, die man bewegen kann (um z.B. auf einer mittelalterlichen Streckbank Schmerzensgeheul zu erzeugen), sowie der Kombi-Ticket-kompatible Wechsel zwischen Tag- und Nachtbeleuchtung (~ fünfmal so schnell, wie bei "Loxx").
Die Modelle sind wesentlich liebloser, als bei "Loxx" (was durch den größeren Maßstab noch mehr auffällt), und wegen der historischen Abfolge ohne irgendeinen Bezug zum Stadtplan angeordnet: auf dem geschlängelten Weg durch die Geschichte sieht man als Hintergrund bereits eine zukünftige Szene, bzw. eine schon passierte ältere Szene - gut, vielleicht ist das irgendeine didaktische Absicht (ob die Tunnel-Gräber unter der 20er-Jahre-Szenerie allerdings auf dem Weg zu einem Bankraub ohne Bank sind, oder bereits Nachkriegs-Republik-Flüchtlinge darstellen, bleibt ungewiß...).
Aber was die Sache SCHLIMMER macht, ist, daß sowohl die Auswahl der historischen "Momente", als auch die knappen Erklärungs-Beschriftungen eher an "Bild"-Zeitungs-Artikel erinnern, als an einen tieferen Einblick in die Geschichte: das fatalste Beispiel ist der Reichstags-Brand, der kurzerhand mit der NAZI-PROPAGANDA-Lüge vom "kommunistischen Einzeltäter" erklärt wird, obwohl es jeder Mittelstufen-Schüler längst besser weiß...
Beim dringend notwendigen "Bier danach" sagt der studentische Aushilfs-Kellner zurecht höhnisch: "Ah, ihr wart im Kindergarten!" - Aber es ist zu hoffen, daß vor allem weder Kinder, noch unbedarfte japanische Touristen, dieser Unsäglichkeit ausgesetzt werden oder sich ahnungslos selbst aussetzen.
Unsereins hätte bereits durch die Las-Vegas-häßlichen Faltblätter gewarnt sein müssen, aber die Hoffnung stirbt ja zuletzt: zum tausendsten Mal mußten wir sie für 16 € pro Person begraben - wie immer wurde ein ambitioniertes Projekt ("Loxx") durch die Rendite-Kannibalen des "freien Marktes" zerstört und durch ein belanglos (oder sogar gefährlich) buntes Projekt neuer Rendite-Jäger ersetzt: "Lernen von Las Vegas" (R. Venturi) hat sich längst als purer Zynismus des post-modernen Defätismus (je Scheiße, desto wahrhaftig) erwiesen, aber diese Erkenntnis ist an der klassen-übergreifenden spätkapitalistischen Dekadenz offenbar spurlos vorbeigegangen, sodaß die Marketing-Manager des Systems unbeirrt geistloses Konsumvolk bedienen können.
Die zunehmende "Modernität" unserer "Zivilisation" wird erkennbar primitiver, und man kann nur hoffen, daß sie zu einer Art von "guten Wilden" im Sinn Rousseaus führt, statt zu dem sozial-darwinistisch faschistischen Ameisen-Staat, der offenbar grade im Entstehen ist...
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